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Das Monstrum

Das Monstrum

Titel: Das Monstrum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Backsteinturm nicht mehr zu sehen war, ging es ihr besser.
    Als sie auf der Straße nach Derry war, musste sie dem Drang widerstehen, so schnell zu fahren, wie der Dart es zuließ (was immer noch überraschend schnell war, wenn man sein Alter bedachte). Sie fühlte sich, als wäre sie gerade glücklich aus einer Löwengrube entkommen – mehr durch Glück als durch Verstand. Während der Ort hinter ihr zurückblieb und die raschelnden Stimmen leiser wurden, befiel sie das Gefühl, als müsste jemand eine verspätete Verfolgung gestartet haben.
    Sie sah immer wieder in den Rückspiegel und rechnete damit, Fahrzeuge zu sehen, die sie verfolgten, um sie zurückzubringen. Sie würden darauf bestehen, dass sie zurückkam.

    Sie liebten sie zu sehr, um sie gehen zu lassen.
    Aber die Straße blieb frei. Kein Dick Allison heulte mit einem der drei Löschfahrzeuge der Stadt hinter ihr her. Kein Newt Berringer in seinem großen minzgrünen Oldsmobil-88. Kein Bobby Tremain in seinem gelben Challenger.
    Als sie sich der Stadtgrenze zwischen Haven und Albion näherte, beschleunigte sie den Dart auf fünfzig Meilen. Je näher sie der Stadtgrenze kam – die sie, zu Recht oder nicht, als den Punkt betrachtete, an dem ihre Flucht unwiderruflich werden würde –, desto mehr erschienen ihr die vergangenen zwei Wochen wie ein schwarzer, verzerrter Albtraum.
    Kann nicht zurück, kann nicht.
    Ihr Fuß, der auf dem Gaspedal des Dart ruhte, wurde immer schwerer.
    Schließlich warnte sie etwas – vielleicht war es etwas, was die Stimmen gesagt hatten und das ihr Unterbewusstsein registrierte. Schließlich hatte sie in letzter Zeit alle möglichen Informationen empfangen, im Schlaf ebenso wie im Wachsein. Als das Stadtschild näher kam –
    A L B I O N
    – nahm sie den Fuß vom Gas und trat auf die Bremse. Sie ließ sich weich und viel zu weit durchtreten, wie in den letzten vier Jahren eigentlich immer. Ruth ließ das Auto vom Asphalt auf den Seitenstreifen rollen. Hinter ihr wirbelte Staub auf, so weiß und trocken wie Knochenmehl. Der
Wind hatte sich gelegt. Die Luft in Haven war wieder totenstill. Der Staub, den sie aufgewirbelt hatte, dachte Ruth, würde lange Zeit hängen bleiben.
    Sie umklammerte das Lenkrad und überlegte, warum sie angehalten hatte.
    Überlegte. Wusste beinahe. Begann
    (zu »werden«)
    zu wissen. Oder zu erraten.
    Eine Barriere? Denkst du das? Sie haben eine Barriere errichtet? Es ist ihnen gelungen, ganz Haven in eine … eine Ameisenfarm zu verwandeln oder in etwas unter einer Glasglocke? Ruth, das ist lächerlich!
    Genau das war es. Es entsprach nicht nur Logik und Erfahrung, sondern auch ihren Sinneseindrücken. Während sie hinter dem Lenkrad saß und dem Radio zuhörte (leise Jazzmusik, die von einem kleinen Collegesender in Bergenfield, New Jersey ausgestrahlt wurde), rumpelte ein Hühnerlaster aus Hillcrest vorbei, wahrscheinlich auf dem Weg nach Derry. Wenige Sekunden später fuhr ein Chevy Vega in die andere Richtung. Am Steuer saß Nancy Voss. Auf dem Aufkleber auf der Heckstoßstange stand: POSTANGE-STELLTE MACHEN ES EXPRESS.
    Nancy Voss sah Ruth nicht an, sie fuhr einfach ihres Weges – in diesem Fall wahrscheinlich nach Augusta.
    Siehst du? Nichts hält sie auf, dachte Ruth.
    Nein, flüsterte ihr Verstand zurück. Sie nicht, Ruth, nur dich. Es hält dich auf, und wahrscheinlich würde es auch Bobbi Andersons Freund und ein oder zwei andere aufhalten. Nur zu! Fahr getrost mit fünfzig Meilen pro Stunde dagegen, wenn du es nicht glaubst! Wir lieben dich alle, und es würde uns traurig stimmen, wenn dir etwas zustieße … aber wir würden nicht – könnten nicht! – verhindern, dass es geschieht.

    Anstatt weiterzufahren, stieg sie aus und lief zur Haven-Albion-Grenze. Ihr Schatten schleppte sich weit hinter ihr; die heiße Julisonne brannte auf ihren Kopf herab. Im Wald hinter Bobbis Haus konnte sie das unablässige dumpfe Dröhnen von Maschinen hören. Sie gruben wieder. Die David-Brown-Ferien waren vorbei. Und sie spürte, dass sie nahe daran waren … nun, nahe an etwas. Dies rief ein Gefühl von Dringlichkeit und Panik in ihr wach.
    Sie kam zu dem Schild … ging daran vorbei … lief weiter … und spürte eine wilde, zunehmende Hoffnung in ihr aufkeimen. Sie war aus Haven heraus. Sie war in Albion. Noch einen Augenblick, dann würde sie schreiend zum nächsten Haus laufen, zum nächsten Telefon. Sie …
    … wurde langsamer.
    Der Ausdruck von Verwirrung stahl sich in ihre Miene …

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