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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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gleich zweimal an.
    Als es Zeit war, nach Hause zu gehen, war es so dunkel, wie sie es noch niemals erlebt hatte. Sie ging schnell, bis sie das große weiße Haus auf dem Hügel, seine heller­leuchteten Fenster sah.
    Sie schloß die Außentür ganz leise hinter sich. In der Vorratskammer war es dunkel, und hinter der Pendeltür waren undeutlich Stimmen zu hören.
    Sie legte das Ohr ans Holz und lauschte.
    »Aber das ist idiotisch, absolut idiotisch!« sagte ihr Stiefvater mit vom Trinken verzerrter Stimme. »Ich hab das blöde Balg nicht angerührt …«
    Eine Stimme antwortete, und Susie war erstaunt, als sie ihre tiefen und männlichen Töne vernahm.
    »Wie erklären Sie sich dann den Zettel, den ihre Frau ge­funden hat, Mr. Grayson? Und wie erklären Sie sich diese Sachen hier? Ihre Mütze, ihren Schal, ihren Mantel ... Sie erkennen sie doch wieder, oder nicht?«
    »Susie!« schrie die Stimme ihrer Mutter gequält auf, »o Susie!«
    Sie wollte durch die Pendeltür stürzen, sich in die Arme ihrer Mutter werfen und ausrufen: »Mir ist nichts passiert, Mutter, mir ist nichts passiert!« Aber die Angst ließ sie wie angewurzelt stehenbleiben. Sie konnte ihrem Stiefvater nicht gegenübertreten und auch nicht dem Fremden mit der harten Stimme, der ihm diese scharfen Fragen stellte .
    »Ja, natürlich erkenne ich sie. Die gehören Susie, gut, aber ich schwöre zu Gott, daß ich niemals …«
    »Wir wollen das alles hier nicht fortsetzen, Mr. Grayson. Ich glaube, es wäre vielleicht das beste, wenn Sie mit uns kämen.«
    »Aber ich hab das Gör nicht angefaßt! Laura, um Him­mels willen, hilf mir doch, damit sie mir glauben …«
    Susie hielt sich die Ohren zu.
    Als sie die Hände wieder herunternahm, war es still.
    Sie öffnete die Tür einen Spalt breit. Draußen auf der Auffahrt hörte sie einen Motor und das Knirschen von Autoreifen auf dem Kies. Sie wartete mit angehaltenem Atem. Dann machte sie die Tür ein Stück weiter auf.
    »Mutter …« flüsterte sie.
    Irgendwie kam der Schrei nicht aus dem geöffneten Mund der Mutter heraus. Ihre Mutter schlug die Hand da­vor – und dann öffnete sie die Arme und nahm Susie in ihre mütterliche Wärme auf.
    »O Susie, Susie«, murmelte sie, »wo bist du nur gewe­sen? Wie konntest du uns so erschrecken?«
    »Es tut mir leid, Mutter, es tut mir leid«, schluchzte Su- sie. »Ich dachte, ich würde es wirklich schaffen, in den Fluß zu springen ... damit alle glauben sollten, daß er es getan hat …«
    Ihre Mutter stieß sie von sich, forschte ungläubig in dem tränenüberströmten Gesicht.
    »Susie, wie konntest du dir nur so was ausdenken!«
    »Ich hasse ihn! Ich hasse ihn!«
    »Still!« sagte ihre Mutter und zog sie wieder fest an sich.
    So blieben sie fast eine Minute lang stehen. Dann wisch­te die Mutter ihr Tränen und Schmutz von den Wangen und nahm sie bei der Hand.
    »Komm mal mit«, sagte sie und führte sie zur Treppe. »Du kommst mit mir und tust genau, was ich dir sage.«
    Sie gingen die Treppe hoch, an den Schlafzimmern vor­bei bis hinauf zur Dachkammer.
    »Du magst die Kammer, nicht wahr, Susie?«
    »Ja, Mutter.«
    »Würdest du gerne für eine Weile hier oben wohnen und auch schlafen?«
    Susies Augen leuchteten. »O ja, Mutter!«
    »Und würdest du gern in ein, zwei Tagen Onkel Harold in den Poconos besuchen? Nur du allein?«
    »O Mutter!« Susie schrie vor Freude auf.
    Die Arme ihrer Mutter umschlangen sie wieder. »Du wirst einen herrlichen Sommer verleben«, sang sie leise und mit weicher Stimme. »Und später komme ich dann zu dir. Später ...« Sie räusperte sich. »Hat dich irgend je­mand gesehen? Nachdem du aus dem Haus gegangen bist? Irgend jemand?«
    »Nein, Mutter.«
    »Mein gutes kleines Mädchen«, sagte ihre Mutter und wiegte sie sanft in den Armen. »Mein liebes kleines Ba­by …«

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