Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
abend ...«
»Ich hasse dich«, sagte sie sanft.
»Sprich nicht so. Du weißt, wie ich bin, wenn ich ... krank bin.«
»Ich wünschte, du wärst wirklich krank«, sagte sie und fühlte sich dabei stolz und kühn. »Ich wünschte, du wärst so krank, daß du sterben würdest.«
Sein Gesicht veränderte sich, es lief rot an und erstarrte. Das war um so erschreckender, als er nüchtern und bei klarem Verstande war .
»Du kleines Luder«, zischte er. »Du gemeines kleines Luder …«
»Laß mich in Ruhe!« schrie Susie und kletterte die Stufen hoch – sicher, daß er wieder hinter ihr her war. Sie schlug die Tür ihres Zimmers hinter sich zu, atmete schwer und lauschte. Als sie nichts hörte, ging sie zur Frisierkommode und fand dort ihren Abschiedsbrief. Sie las ihn noch einmal durch, und es kam ihr eine neue, bessere Fassung in den Sinn. Sie zerriß den Brief in kleinste Fetz- chen. Dann setzte sie sich hin und schrieb einen neuen Abschiedsgruß.
»Mein Stiefvater haßt mich. Er wird mich töten. Er hat gesagt, daß er mich zum Fluß bringen und wie eine Katze ersäufen wird. Laßt ihm diesen Mord nicht ungestraft durchgehen.«
Sie unterstrich das Wort ›Mord‹ dreimal und überprüfte dann den Text, bis sie sicher war, daß er seinen Zweck erfüllen würde. Sie legte ihn sorgfältig auf ihr Kopfkissen und ging zum Wandschrank. Sie zog sich ihre roten Gummistiefel über die Schuhe, legte sich ihren hübschesten buntkarierten Wollschal um den Hals und setzte sich eine Baskenmütze auf. Dann zog sie sich den blauen Frühjahrsmantel mit den blinkenden Messingknöpfen an und ging zur Tür.
Als sie auf Zehenspitzen die Treppe hinunterschlich, erblickte sie flüchtig ihren Stiefvater im Wohnzimmer. Er stand an der Bar und eröffnete gerade eine weitere Trinkernacht. Dann hastete sie durch den Hintereingang auf die Straße.
Es war ein weiter Weg bis zum Fluß, und als sie endlich die stillen, träge gleitenden Wasser erreichte, in denen sich die orangefarbene Glut des Sonnenuntergangs spiegelte, wurde sie, was ihren Plan anbetraf, immer unsicherer. Es war eine Sache, sich den Schmerz vorzustellen, den ihr Tod mit sich bringen würde; eine andere war es aber zu wissen, daß sie selbst dem allen nicht würde beiwohnen können. Wenn sie nur gewiß sein könnte, daß es einen Himmel gab, von dem aus sie die Erde mit einem starken Fernglas beobachten konnte ... Aber Susie war sich dessen nicht sicher. Sie blieb am Ufer des Flusses stehen und verspürte Zweifel. Was, wenn Tod nur Dunkelheit und Vergessen bedeutete?
Sie erschauerte und steckte einen Finger ins Wasser. Es war kalt.
Wenn sie ganz langsam anfinge, dachte sie, Stückchen um Stückchen ... Sie nahm die Baskenmütze ab und warf sie aufs Wasser. Sie glitt stromabwärts davon, ein Schiff mit einer Troddel als Schornstein. Dann legte sie Schal und Gummistiefel ab und verfuhr mit ihnen ebenso. Sie zog den Mantel aus und schleuderte ihn so weit hinaus, wie sie nur konnte.
Dann stieg sie zögernd das Ufer hinunter.
In dem Augenblick, als das Wasser ihre Fußgelenke umspülte, schrie sie auf und brachte sich taumelnd in Sicherheit. Es war ihr vorgekommen, als hätte der Fluß mit Millionen eisiger Finger nach ihr gegriffen. Es war schrecklich. Der Tod war schrecklich!
Das kam wie eine Offenbarung über sie, traf sie als Schock. Sie legte die Hand auf ihr Herz und spürte dankbar sein Pochen. Dann wandte sie sich um und floh vor der Drohung, die von dem Fluß ausging, vor der Dunkelheit, die der Tod war.
Mit schwankenden Schritten folgte sie dem Weg, der nach Hause führte. Aber sie wußte, daß sie da nicht hingehen konnte; sie konnte ihn jetzt nicht ertragen. Er würde vom Trinken entstellt sein. Er würde furchtbar sein … Nein, dachte Susie. Sie würde in die Stadt gehen. Das war nicht weit, und sie konnte den Abend in der geheiligten Zuflucht des Kinos verbringen. Wenn es dann ganz dunkel geworden war, konnte sie unbemerkt ins Haus schlüpfen, durch den Hintereingang.
Erst als sie die gelben Lichter am Eingang des ›Leucht- turm‹ sah, fiel ihr ein, daß sie kein Geld bei sich hatte. Aber es gab da doch einen Weg. Sie erinnerte sich daran aus jener weit zurückliegenden Zeit, als sie sieben oder acht Jahre alt gewesen war und das Geheimnis des freien Zutritts zum Kino entdeckt hatte – nämlich die offene, unbewachte Seitentür.
Sie ließ sich auf einem der rückwärtigen Sitze nieder und sah sich den neuen Rock Hudson-Film
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