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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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wie ein Gott leben.
    Als schließlich die Sonne vor den Fenstern des westli­chen Schloßflügels zu sinken begann, rief er einen kahl­köpfigen Diener namens Graille herbei und flüsterte ihm einen Befehl zu.
    Graille eilte rasch davon. Er blieb nur eine Stunde fort. Als er zurückkehrte, war er in Begleitung eines grimmig dreinblickenden Leibwächters mit Namen Briggs, und sie beide hatten einen schlanken Jüngling mit einem blassen, erschreckten Gesicht und herausfordernden Blicken zwi­schen sich.
    »Ist das der Junge?« fragte Graille.
    »Das weiß ich nicht. Ist es Joel Harper?«
    »Ja«, sagte der Junge trotzig. »Was wollen Sie?«
    Der Leibwächter hob eine Hand, um diese Frechheit zu bestrafen. Crandall gebot ihm Einhalt.
    »Nichts dergleichen. Ich möchte nur mit dir reden, Joel.«
    »Wozu?«
    Crandall zwang sich zu einem Lächeln. »Wir beide, du und ich, haben etwas gemeinsam.« Er winkte mit der Hand, und die beiden Männer verließen den Raum. »Wir wollen uns setzen und miteinander reden.«
    Der Junge sah unsicher umher. Dann erblickte er eine Sitzgelegenheit auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes und setzte sich dort voll Nervosität hin.
    »Sag mal«, sagte Crandall, »kennst du ein Mädchen na­mens Celeste?«
    Das glatte Gesicht des Jungen verdüsterte sich. »Ja«, antwortete er.
    »Und du magst dieses Mädchen?«
    »Sie wissen, daß ich sie mag!«
    »Und weißt du auch, was aus ihr geworden ist?« »Ja!«
    Crandall faltete seine Hände im Schoß. »Ich nehme an, daß du sehr wütend bist. Ich kann mir vorstellen, daß dir ein paar gefährliche Gedanken gekommen sind, als du die Geschichte von Celeste und mir erfahren hast. Stimmt’s?«
    »Vielleicht.«
    Der Ältere lächelte. »Dann möchte ich dich beruhigen. Deine Celeste hat hier bei mir unter denselben Bedingun­gen gelebt, wie es meine eigene Tochter …«
    Der Junge schürzte die Lippen. »Sie ist Ihre Tochter.«
    »Natürlich. So, wie du mein Sohn bist. Aber jetzt sag mir die Wahrheit. Sollte es zwischen einem Vater und sei­nem Sohn eine solche Feindseligkeit geben?« Sein Tonfall war alles andere als väterlich.
    Der Junge stand auf und straffte die Schultern.
    »So einfach ist das nicht. Sie sind nicht mein echter Va­ter. Sie sind nur eine biologische Monstrosität …«
    Crandalls Gesicht verfinsterte sich. »Du irrst, weißt du. Die Welt ist die Monstrosität. Ich bin normal.«
    »Wo ist Celeste?«
    »Möchtest du sie sehen?«
    Er ließ sich auf den Stuhl zurückfallen. »Nein«, sagte er müde, »nicht jetzt.«
    Crandall lehnte sich zurück und betrachtete den Jungen. Er studierte sein Gesicht und suchte dort eine Ähnlichkeit mit sich. Aber nie schien er seine eigene Jugend in jenen Gesichtern wiederfinden zu können, die sein Samen er­zeugt hatte. Es war wie eine Strafe ...
    »Ich möchte dir etwas sagen, Joel. Ich habe mich, was Celeste anbetrifft, anders besonnen. Sie hat mir von dir erzählt, und ich will ihr wahrhaftig nicht im Wege sein.«
    Der Junge schrak hoch. »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine, daß ich sie gehen lasse. Zu dir zurück, wenn das ihr Wunsch ist. Wirst du nun besser über mich den­ken?«
    »Donnerwetter, Mr. Crandall! Natürlich. Ich meine ... ich habe nie wirklich geglaubt ...«
    Crandall lachte leise. »Ja, ich weiß. Du hast nie geglaubt, daß ich wirklich ein Ungeheuer bin. Aber laß uns alle feindseligen Gefühle auslöschen. Hier und jetzt.« Er erhob sich und ging zur Wand hinüber. Sein Finger stach auf einen Klingelknopf herab.
    Graille erschien, sein kahler Kopf glänzend und seine Augen halb geschlossen.
    »Ja, Sir?« sagte er.
    »Ich denke, jetzt«, lächelte Crandall.
    Graille trat auf den Jungen zu.
    »Was wollen Sie tun?« fragte Joel.
    Crandalls Lächeln wurde breiter.
    »Alle feindseligen Gefühle auslöschen«, sagte er.
    Grailles Hand preßte sich auf Joels Mund, bevor dieser noch schreien konnte. Crandall wandte den Blick ab.
    »Wartet!«
    Es war Newman, der Arzt, der sich in Crandalls Schloß frei bewegen konnte. Er ging schnell auf sie zu, und Graille lockerte überrascht den Griff, mit dem er den Jun­gen festhielt.
    »Was willst du?« fragte Crandall drohend. »Warum be­lästigst du mich jetzt?«
    »Laß den Jungen in Ruhe.« Der Arzt hatte einen gequäl­ten Gesichtsausdruck.
    »Das geht Sie nichts an, Dr. Newman.« »Doch. Weil du einen Fehler machst …«
    Crandalls Gesicht verhieß Sturm. »Ich bin Crandall!«
    »Das gibt dir nicht das Recht

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