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Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.

Titel: Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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…«
    »Graille!«
    »Nein, Augenblick!« rief Newman. »Du kennst die Wahrheit nicht, Wilson. Du kennst die Fakten nicht …«
    »Was für Fakten?«
    »Ihn betreffend. Den Jungen betreffend.«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er stellt keine Bedrohung für dich dar, Crandall. Nicht die geringste Bedrohung.«
    »Du lügst!«
    »Ich sage dir die Wahrheit! Ich habe ihn noch vor deinen Schergen aufgespürt. Ich habe ihn untersucht …«
    »Was?«
    »Hast du gedacht, ich würde auch nur eine Minute zö­gern? Wenn die Hoffnung besteht, daß die Welt wieder normal werden könnte? Nein, Wilson. Ich habe ihn aus­findig gemacht und ins Labor gebracht. Deshalb weiß ich Bescheid. Er stellt keine Bedrohung dar, Crandall.« Der Arzt ließ die Schultern sinken. »Er ist steril. Wie wir alle …«
    »Dann hat das Mädchen gelogen«, donnerte Crandall. »Es ist jemand anderes!«
    »Nein, das Mädchen hat die Wahrheit gesagt.«
    »Aber wie dann? Wie konnte es dann geschehen?«
    Der Arzt setzte sich, und seine Schuhsohlen schurrten über den Marmorboden unter seinen Füßen.
    »Die Natur hat eine neue Antwort gefunden«, sagte er. »Einen neuen Weg …«
    »Was meinst du damit?« »Jungfernzeugung. Geburt ohne Vaterschaft. Celeste ist nur die erste, Crandall. Andere werden folgen …«
    Crandall starrte ihn an, dann hallten die Gänge seines Schlosses von seinem trotzigen Brüllen wider.
    Er stürzte aus dem Saal und eilte die Wendeltreppe zum Obergeschoß hinauf.
    Mit Macht riß er die Tür zu Celestes Räumen auf.
    Sie saß nahe beim Fenster, ein Bündel Stoff im Schoß. Sie hielt eine Nadel in der Hand, die sie flink durch das Gewebe führte.
    »Oh!« sagte sie. »Du hast mich erschreckt.«
    Er stand da und starrte sie an.
    »Ich … ich nähe gerade ein bißchen«, sagte sie schüch­tern. »Ich dachte, ich könnte dich mit ein paar Vorhängen an den Fenstern überraschen. Dieses Zimmer ist so kalt. All dieser Marmor ...« Sie erschauerte.
    Dann erhob sie sich aus ihrem Stuhl und lächelte zum ersten Mal, seit sie sein Haus betreten hatte. Sie nahm den Stoff zusammen und trug ihn zu dem marmorumrahmten Fenster, das auf die Gärten hinausging. Sie hielt ihre Ar­beit, ein zartes Gebilde aus Rüschen und Falten, in die Höhe.
    »So«, sagte sie befriedigt. »Macht das nicht alles viel hübscher?«
    »Ja«, sagte Wilson Crandall, sich wie in einem Traum bewegend.
    Eine Brise strich von draußen herein, und der Vorhang flatterte in der Hand des Mädchens wie ein Siegesbanner.
    Crandalls Gedanken aber weilten woanders. Die Natur entläßt mich also, dachte er. Crandall – arbeitslos. Er lä­chelte voller Zufriedenheit.

Es wird euch leid tun wenn ich tot bin
    I n der Südostecke der Dachkammer, wo das Licht durch das Bodenfenster auf ihr Schreibpapier fiel, befeuchtete Susie die Spitze ihres Bleistiftstummels. Ihre hohe, weiße Stirn legte sich in Falten, als sie das Vokabular der Zehn­jährigen nach einer passenden Begrüßungsformel für den Brief durchforschte, den zu schreiben sie gerade im Be­griff war. Schließlich entschied sie sich für das direkte »Lieber Mr. Hudson« und kritzelte die Worte umständlich oben auf die Seite.
    Sie war sich nicht ganz sicher, ob es richtig war, Rock Hudson mit ihren Familienproblemen zu behelligen. Die Mädchen, die sie aus der Schule kannte, wären in schwärmerische Bewunderung ausgebrochen oder hätten um Bilder und Autogramme gebeten. Susies Brief aber sollte anders sein und einem ernsthaften Anliegen dienen.
    »Lieber Mr. Hudson, würden Sie mir bitte helfen? Ich wohne in der Elm Avenue Nr. 80 in Mount Colony, New York. Mein Stiefvater ist ein Scheusal. Er schlägt meine Mutter, trinkt und flucht und hat ihr einmal das Handgelenk gebrochen. Manchmal schlägt er mich auch, einmal war ich so grün und blau, daß ich deshalb nicht zur Schule gehen konnte. Ich weiß, wieviel Sie zu tun haben, aber ...«
    Irgendwo im Haus schlug eine Tür zu. Dieses alltägliche Geräusch stieß Susie in die Wirklichkeit zurück und ließ sie mit der plötzlichen Einsicht auf die gerade niederge­schriebenen Zeilen blicken, daß sie keine Bedeutung für den Schattenmann haben würden, der sich heroisch über die Leinwand des ›Leuchtturm‹, des Kinos von Mount Colony, bewegte. Trotzdem kehrte sie wieder zu ihrer Traumvorstellung zurück, zu ihrer Vision von dem schwarzglänzenden Straßenkreuzer, der vor ihrem Haus vorfuhr, und von Rock Hudson, der, grimmig und ent­schlossen dreinblickend, auf die Haustür

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