Das Morden ist des Mörders Lust. Geschichten.
hell und stark schien. Er setzte seinen kleinen Arztkoffer auf einen Stuhl und betrachtete Crandalls starkes, wie aus Felsen herausgemeißeltes Profil. Dann räusperte er sich.
»Ach, du bist es«, sagte Crandall verträumt. »Was bringt dich so früh hierher?«
»Das habe ich dir doch schon gestern abend gesagt. Ich dachte mir halt, ich sollte mir mal deine kleine Freundin anschauen und sehen, ob sie sich nicht vielleicht irgendeine unersprießliche Infektion geholt hat.«
»Und?«
Der Arzt lächelte. »Gratuliere. Du wirst Vater.«
»Mach keine Scherze. Was fehlt Celeste?«
Crandall wandte sich ihm langsam zu. Sein Gesicht, das sich scharf gegen das weiße Strahlen der Sonne abhob, war selbst aus Marmor.
»Das ist unmöglich«, sagte er leise. »Du weißt, daß das nicht sein kann. Ich hab es dir gesagt. Sie hat hier gelebt wie … wie meine eigene Tochter. Sie ist nie im Klinikum A1 gewesen. Sie kann nicht schwanger sein. Nicht in dieser sterilen Welt …«
»Wilson, du sagst mir nicht die Wahrheit.« In das Gesicht des Arztes kam Farbe. »Du kannst mir nicht die Wahrheit gesagt haben. Wenn doch, weißt du, was das bedeutet?«
»Es ist unmöglich!« rief Crandall.
Der Doktor setzte sich und fuhr sich mit seiner blau geäderten Hand an die Stirn.
»Es sei denn«, sagte er und schüttelte den Kopf, »es sei denn, dieser Fluch ist gewichen. Es sei denn, der Alptraum ist vorbei … und die Welt kann wieder die gleiche sein …« »Nein!« sagte Crandall. »Ich kann es nicht glauben. Zwei Generationen schon hat es keine natürliche Geburt mehr gegeben. Nur eine Handvoll Männer – ich selbst, Conover in England, diese beiden Russen …«
»Ja, ja, ich weiß. Aber es könnte geschehen! Vielleicht ist es passiert.« Er stand auf.
»Wo gehst du hin?« fragte Crandall.
»Mit dem Mädchen reden. Um herauszufinden …«
»Nicht ohne mich!«
Die Schwester brachte Celeste zu ihnen.
»Setz dich, mein Liebes«, sagte Newman zu ihr.
Sie warf einen erschrockenen Blick auf Crandall und verbarg sich in den Tiefen eines übergroßen Sessels.
»Hör zu, Celeste«, sagte der Arzt sanft. »Du kennst diese kleinen Tests, die wir heute morgen gemacht haben?«
Sie nickte.
»Gut, ich habe jetzt eine Nachricht für dich. Du wirst Mutter werden, verstehst du mich?«
Sie starrte ihn mit leerem Blick an.
»Ich weiß, was du denkst. Man hat dich in dem Glauben erzogen, daß du nur Crandallkinder bekommen könntest. Ich selbst habe das auch geglaubt, immer. Die Männer unserer Welt sind steril, ausgenommen die wenigen, die dank der wunderbaren Wege der Natur verschont geblieben sind. Aber es ist möglich, ja, es ist durchaus möglich, daß unsere Probleme ebenso plötzlich und unerklärlich aufhören, wie sie begonnen haben. Deshalb muß ich dir eine Frage stellen, Celeste. Eine sehr wichtige Frage.«
Crandall beugte sich vor; das Mädchen begegnete seinem steinernen Blick und sah fort.
»Du mußt mir sagen«, drängte der Arzt, »du mußt mir sagen, wer der Junge ist.«
Sie schüttelte wild den Kopf, und ihr goldenes Haar flog um ihr Gesicht. Ihre Augen weiteten sich und blickten mit unverhüllter Angst in Crandalls steiniges Gesicht.
»Nein!« sagte sie.
»Du mußt keine Angst haben«, sagte Crandall mit erstickter Stimme. »Du weißt, ich habe dir nie etwas angetan, Celeste. Du mußt die Frage des Doktors beantworten.«
Sie blickte zu Boden. Ihre Hände umklammerten die Seitenlehnen des Sessels, daß die Knöchel spitz und weiß hervortraten.
»Nein«, flüsterte sie, »ich kann es nicht.«
»Das ist nicht mehr nur dein persönliches Problem«, sagte der Doktor mit Nachdruck. »Du mußt das verstehen. Es könnte sehr viel bedeuten … zu wissen …«
Sie sah in seine freundlichen Augen, und ihr Blick klammerte sich an den seinen. Dann öffneten sich ihre Lippen zu einer Antwort.
»Er heißt Joel. Joel Harper.«
Dann senkte sie den Kopf und weinte, sei es aus Scham oder Angst oder Erleichterung.
Wilson Crandall verbrachte den Rest des Tages allein. Er lief eilig in den marmornen Korridoren seines Schlosses auf und ab, als habe er ein bestimmtes Ziel. Mit lauten, gehetzten Schritten erklomm er die Treppen. Er schloß die Glasvitrinen auf, in welchen die Schätze verwahrt lagen, die einst die nationalen Museen geziert hatten. Er wander- te in den Gärten umher und schüttelte die Leibwache ab, die ihn vor den Angriffen jener Fanatiker schützen sollte, welche glaubten, kein Mensch dürfe
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