Das Mordkreuz
einen Abstecher in die Uni-Bibliothek gemacht, um dir weiterführende Literatur zu besorgen … sofern es dir für deine Ermittlungen nützlich erscheint.» Sie wies auf einen Stapel Bücher, der auf dem Wohnzimmertisch stand. «Du findest darin sowohl Populärwissenschaftliches als auch ernsthafte Studien zum Thema. Ein sehr interessantes Werk ist das von Julius Freiherr von Minutoli:
Die Weiße Frau. Geschichtliche Prüfung der Sage und Beobachtung dieser Erscheinung seit dem Jahre
1486
bis auf die neueste Zeit
. Des Weiteren …»
«Danke», fiel ihr Heinlein ins Wort, «ich werde es mir anschauen.»
Seitdem Vera ihr Musikstudium an der Hochschule für Musik in Würzburg begonnen hatte, neigte sie dazu, ihre Ausführungen mit Verweisen auf die entsprechende Literatur zu untermauern. Was Heinlein und seine Frau zu Beginn noch mit Freude sahen, hatte sich in letzter Zeit relativiert, da ihr nichts mehr entgegenzusetzen war. Dazu hätten sie ihre Quellen überprüfen müssen, was natürlich jenseits des Machbaren wie auch des Gewollten lag. Die abgedrehte Leichtigkeit ihrer früheren Spleens war einer Ernsthaftigkeit der Lebensplanung gewichen. Vera widmete sich ganz ihrer Ausbildung und war für ihre Eltern nicht mehr zu erreichen.Die beiden sahen diese Entwicklung mit Stolz, aber auch mit Melancholie. Vera hatte ihr Leben in die Hand genommen. Die Abnabelung von der Familie war vollendet.
«Und du bleibst dabei?», fragte Heinlein seinen Sohn.
Thomas zeigte keine Zweifel. «Ich weiß, was ich gesehen habe. So wie die anderen auch.»
«Nun gut», antwortete Heinlein. «Mach dich aber darauf gefasst, dass deine Geschichte nicht jeden überzeugen wird.»
«Glaubst du mir?», fragte er zurück.
«Das ist nicht entscheidend», wich Heinlein aus, «du musst den Staatsanwalt und den Richter auf deine Seite bringen.»
Claudia gab sich damit nicht zufrieden. «Dein Sohn sucht deine Unterstützung. Also, glaubst du ihm?»
Heinlein zögerte mit der Antwort. «Ich bin mir noch nicht sicher. Zuvor gibt es noch etwas anderes, das geklärt werden muss. Wie lange nimmst du schon Drogen?»
Eigentlich hatte er erwartet, dass die Frage großes Erstaunen bei Claudia und Vera auslösen würde, aber Thomas hatte vorgesorgt und mit einer Generalbeichte die Überraschung vereitelt.
«Ich nehme keine Drogen», wehrte sich Thomas.
«Was war in den Zigaretten sonst drin?»
«Ein bisschen Gras, nichts weiter.»
«Ist das etwa kein Rauschgift?»
«Das nimmt doch heute jeder. So wie Bier in Bayern auch keine Droge mehr ist, sondern ein Grundnahrungsmittel.»
«So weit kommt’s noch, dass du mir meinen Beruf erklärst. Das Zeug ist eine Einstiegsdroge für härtere Sachen.»
«Cannabis hat auch eine therapeutische Seite», fügte Vera hinzu. «Untersuchungen haben ergeben …»
«Du hast Pause», ging Heinlein dazwischen, «wenn ich einen Arzt brauche, weiß ich, wo ich anzurufen habe. Dein Bruder hockt saufend und kiffend nachts auf Friedhöfen rum. Ich kann dir gern mal unsere Bücher zeigen. Dann siehst du,wohin das führt.» Er wandte sich wieder an Thomas. «Wie lange geht das schon?»
Kleinlaut gab er zu: «Seit ein paar Wochen. Nichts Dramatisches.»
«Das zu bewerten überlässt du besser mir.»
Claudia ergriff seine Hand. Ihr Zeichen zur Mäßigung. «Thomas weiß, dass er einen Fehler gemacht hat. Lass uns lieber darüber sprechen, wie es weitergeht.»
Heinlein bemühte sich, seinen Unmut zu zügeln, was ihm nicht leichtfiel. «Es läuft alles den korrekten Dienstweg. Kilian übernimmt die Ermittlungen. Er wird ihn morgen früh befragen. Bis dahin hat Pia ihre Untersuchungen abgeschlossen. Und dann werden wir sehen, wie schlimm es ist.»
«Wie schlimm kann es denn werden?», fragte Claudia vorsichtig.
«Frag deinen Sohn. Er weiß, was er gemacht hat.»
«Ich habe Sven nicht getötet», protestierte Thomas und stand wütend vom Tisch auf. «Du bist mein Vater. Von dir hätte ich mehr Unterstützung erwartet.» Dann ging er in sein Zimmer.
Vera schob noch eins nach. «Damit hat er nicht ganz unrecht.» Sie stand auf. «Zu deiner Information: Gras habe ich bereits mit vierzehn geraucht. Mit sechzehn habe ich Speed ausprobiert, und mit achtzehn habe ich wieder damit aufgehört. Und wie du siehst, bin ich nicht in der Gosse gelandet.» Sie warf die Serviette auf den Teller und ging zu Thomas aufs Zimmer.
Heinlein war perplex. «Das darf doch nicht wahr sein.» Er stand auf und wollte Vera nach. «Komm
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