Das Mordkreuz
Ahornbäume fassten die Veranda des Weinguts zu beiden Seiten ein, damit die Gäste bei einem Glas Wein entspannt den Blick auf die fruchtbaren Reben im Tal richten konnten.
«Wo kann ich den Chef finden?», fragte Heinlein eine Bedienung, die ein Tablett mit leeren Gläsern in die Schankstube jonglierte.
«Der ist heute nicht da», antwortete sie im Gehen, «aber seine Frau. Kommen Sie mit.»
Er fand sie hinter dem Tresen, wo sie Glas um Glas mit gekühltem weißem Wein füllte. Heinlein zeigte ihr seine Marke. «Der Chef ist nicht im Haus?», wiederholte er seine Frage.
«Nein», antwortete sie. «Der ist unterwegs. Kann ich Ihnen weiterhelfen?»
Heinlein überlegte einen Moment. «Unter Umständen, ja. Richter Zinnhobel war vor drei Wochen Gast bei Ihnen, bevor er als vermisst gemeldet wurde.»
«Das haben wir bereits ausgesagt.»
«Sie haben ihn auch an jenem Tag gesehen?»
«Nein, ich war auf einer Veranstaltung. Er wurde von zwei Servicekräften bedient.»
«Arbeiten die heute?»
«Gina ist da. André hat frei.»
«Kann ich mit dieser Gina sprechen?»
«Ungern. Sie sehen doch, was hier los ist. Außerdem hat sie ihre Aussage schon gemacht.»
«Es wäre wichtig. Ich will sie auch gar nicht lange aufhalten.»
Die Wirtin wägte seine Bitte ab. Schweren Herzens stimmte sie zu. «Gina», rief sie auf die Veranda hinaus.
Wenig später kam sie herein, und die Wirtin übernahm den Service. «Fünf Minuten. Keine Sekunde länger.»
Heinlein bedankte sich und ging mit ihr in eine ruhige Ecke des Gastraums. «Sie haben Richter Zinnhobel am Tag seines Verschwindens bedient?»
«Nicht nur ihn», antwortete sie, «die ganze Truppe. Sie waren im Weinberg unterwegs und fielen mit einem Riesendurst bei uns ein. Kein Wunder bei der Hitze.»
«Sie haben also viel getrunken?»
Gina nickte und zündete sich verstohlen eine Zigarette an. «Und wie. Wasser und Wein. Ich bin kaum mit dem Einschenken nachgekommen. Die waren völlig ausgetrocknet, obwohl sie auf der Wanderung bei drei Weinständen haltgemacht hatten.»
«Hat Zinnhobel besonders viel getrunken?»
«Auf zwei Flaschen Wein wird er schon gekommen sein.»
«War er bei der Hitze und dem Wein überhaupt noch ansprechbar?»
«Und ob. Der konnte einiges vertragen. Was man vom Rest der Truppe nicht behaupten kann. Die waren nach dem zweiten Schoppen platt. Kein Wunder, das waren alle Münchner, die nur Bier gewohnt sind.»
«Es handelte sich um Kollegen von ihm, wenn ich mich richtig erinnere.»
«Kann sein, ich weiß es nicht. Auf jeden Fall waren die schnell fix und fertig. Der Busfahrer hat sie eingeladen und nach Würzburg ins Hotel kutschiert.»
«Ist Ihnen etwas Außergewöhnliches aufgefallen? Ich meine, gab es Streit oder eine böse Bemerkung unter den Gästen?»
«Nein, nichts dergleichen. Solange sie noch nüchtern waren, hat sie der Richter mit seinen Sprüchen unterhalten. Die waren alle bestens gelaunt, bis einer nach dem anderen am Tisch eingeschlafen ist.»
«Die Gruppe hat auch etwas gegessen. Richtig?»
«Ja, eine Vesper nach Art des Hauses. Dunkles Brot und Hausmacher.»
«Auch Sauerkraut?»
«Nein, nicht an diesem Tag. Der Richter hat bei der Reservierung ausdrücklich die Vesper bestellt. Da gibt es kein Sauerkraut dazu.»
«Kann es sich Zinnhobel nicht dennoch bestellt haben?»
«Nicht bei uns. Lediglich die kalten Platten waren vorbereitet.»
«Waren noch andere Gäste in dieser Zeit anwesend?»
«Sicher, ein Kommen und Gehen.»
«Hat sich Zinnhobel mit einem der anderen Gäste unterhalten oder getroffen?»
Noch bevor Gina antworten konnte, kam die Wirtin mit einem Tablett leerer Gläser herein. Sie roch den Zigarettenrauch sofort, obwohl die Fenster geöffnet waren. «Wer raucht hier?», fragte sie verärgert.
Ginas Hand ging reflexartig zum Fenster. Doch da stand ein Gast. Kurz entschlossen reichte sie sie Heinlein, der sie verdutzt ergriff. «Ich muss Sie darauf hinweisen, dass Rauchen hier strengstens untersagt ist», giftete die Wirtin ihn an. «Unsere Gäste legen sehr großen Wert darauf.»
«Entschuldigung», antwortete Heinlein, «ich mach sie sofort aus.» Er suchte nach einem Aschenbecher.
«Gina, komm jetzt. Die Leute haben Durst.»
«Ja, sofort, Chefin.»
Sie wartete noch einen Augenblick, bis die Wirtin verschwunden war. Dann nahm sie die Zigarette wieder an sich. «Danke. Sie haben mir das Leben gerettet.»
«Gern geschehen.»
«Die Chefin dreht bei Zigaretten total durch. Und der Chef ist noch
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