Das Mordkreuz
Todeszeitpunkt benennen.»
«Da er vor drei Wochen als vermisst gemeldet wurde», antwortete Heinlein, «ist das Maximum damit abgesteckt. Fragt sich, wie lange er nach seinem Verschwinden noch am Leben war. Wann erwartest du das Ergebnis des Entomologen aus Frankfurt?»
«Wird ein paar Tage dauern.»
Heinlein reagierte schroff. «Wie lange? Genauer, bitte.»
Da Pia die Ursache seiner Aggressivität kannte, zumindest ahnte, blieb sie ruhig. Andernfalls hätte sie ihm die Grenzen seines Benehmens aufgezeigt. «Das hängt nicht von mir,sondern vom Wachstum der Fliegeneier beziehungsweise der Larven ab. Der Entomologe muss das Entwicklungsstadium verschiedener Fliegen- und Insektenpopulationen miteinander vergleichen, damit er eine sichere Aussage treffen kann. Und das braucht Zeit.»
Wenn die Nachricht vom Tod des Richters bekannt wurde, wusste Heinlein, was auf ihn zukam. Er würde Feuer von allen Seiten bekommen. Nicht nur die Medien würden Druck in der Öffentlichkeit erzeugen, sondern auch die Staatsanwaltschaft und die Politik auf eine baldige Aufklärung drängen. Schließlich war der Richter einer von ihnen.
«Hast du sonst keinen Hinweis, wo wir mit den Ermittlungen ansetzen können?», fragte Heinlein.
Pia zog die Ergebnisse der Blutuntersuchung heran. «Zinnhobel hatte zum Zeitpunkt des Todes noch reichlich Alkohol im Blut.»
«War er betrunken?»
«Bei knapp zwei Promille würde ich sagen, ja.»
«Hatte er nicht vor seinem Verschwinden an einer Weinbergswanderung teilgenommen?», fragte Kilian.
Heinlein nickte. «Die Kollegen konnten seine Spur bis dahin verfolgen. Gegen Abend hatte sich die Gesellschaft aufgelöst, und seitdem gilt er als vermisst. Hat der Mageninhalt etwas erbracht?»
«Er hatte gut gegessen. Genauer identifizieren konnte ich es bisher nicht. Brot könnte darunter gewesen sein, auf jeden Fall Sauerkraut.»
«Dann muss er irgendwo noch eingekehrt sein, nachdem er sich von der Gruppe verabschiedet hatte. Laut Zeugen haben sie nur eine Vesper zu sich genommen, und von der Ehefrau wurde er nicht erwartet. Ich werde mich bei den Kollegen nochmal kundig machen.»
So weit zum Fall Zinnhobel. Nun stand das Obduktionsergebnis des toten Jungen an. Heinlein war auf alles vorbereitet,zumindest bemühte er sich darum. «Nun zu Sven. Woran ist er gestorben?»
Karl Aumüller, der zweite Obduzent neben Pia, antwortete darauf. «Sein Tod ist gegen ein Uhr dreißig eingetreten. Todesursache: Ersticken in einer Zwangslage, aus der er sich nicht selbständig befreien konnte, sofern er zum Zeitpunkt überhaupt bei Bewusstsein war.»
Kilian stutzte. «Wie sollen wir das verstehen?»
«Wie ich es sagte. Er hatte sich oder er wurde in eine Lage gebracht, aus der er sich nicht mehr ohne fremde Hilfe befreien konnte. Stell dir das so vor: Er lag in sich gekrümmt in dem Wassergraben, wie ein Embryo, nur nicht auf der Seite, sondern kopfüber. Dabei war sein Kopf durch das Körpergewicht fest an die Brust gedrückt, sodass er nicht mehr atmen konnte.»
Heinlein fiel ein Stein vom Herzen. Das klang nach einem tragischen Unfall. «Wieso konnte er sich aus der Zwangslage nicht mehr befreien?», fragte er.
«Beim Sturz in den Wassergraben war er an das Drainagerohr gestoßen und hat sehr wahrscheinlich das Bewusstsein verloren. Wir haben Blut am Rand dieses Rohres und eine dazu passende Wunde an seinem Kopf gefunden.»
«Was ist mit dem Erbrochenen?», hakte Kilian nach.
«Nichts Ungewöhnliches in dieser Körperlage. Er hatte viel getrunken und stand unter Drogen. Es dürfte den Erstickungskampf sogar verkürzt haben – so traurig das auch klingt.»
«Bleibt die Frage, wie er überhaupt in den Wassergraben gekommen ist.»
«Das ist die schlechte Nachricht. Wir haben Svens Blut an den Ärmeln von Thomas’ Jacke gefunden.»
«Es gab einen Kampf, zumindest einen körperlichen Kontakt im Vorfeld», antwortete Heinlein bemüht. «Die Zeugen sagen aus, dass Thomas und Sven beim Einsturz der Säuleauf den Boden gefallen sind. Dabei kann die Blutübertragung stattgefunden haben.»
Pia, Karl und Kilian schwiegen. Natürlich konnte es so gewesen sein, sehr wahrscheinlich sogar. Doch im Hinblick auf die Brisanz des Falles waren sie angewiesen worden, jede erdenkbare Möglichkeit zuzulassen.
Als Heinlein die Verlegenheit seiner Kollegen bemerkte, wurde er ungehalten. «Oder vielleicht nicht?»
«Sicher», antwortete Kilian. «Aber wie du weißt, wird der Staatsanwalt auch nach einem alternativen
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