Das Mordkreuz
nicht oder telefoniere ich wieder zu viel?»
Heinlein zwang sich ein wohlmeinendes Lächeln ins Gesicht. «Nichts von alledem», log er. «Wir haben uns nur seit langem nicht mehr unterhalten.»
«Das haben wir doch noch nie gemacht.»
«Eben drum. Dann wird es langsam Zeit, das zu ändern.»
Nicht ganz überzeugt, begab sich Sabine in die Wartestellung.
«Nun», begann Heinlein, «wie gefällt es dir bei uns?»
Seine Frage traf auf Unverständnis. «Schorsch, wir kennen uns jetzt schon so lange. Wenn was ist, dann raus mit der Sprache. Du bist ein schlechter Diplomat.»
Recht hatte sie. Das war er nie gewesen und würde es wohl auch nie werden. Sabine war nicht zu überlisten.
Er startete einen neuen Versuch. «Ich komme gerade vom Polizeipräsidenten. Er hat anklingen lassen, dass etwas in der Luft liegt. Hast du eine Ahnung, worum es dabei geht?»
Sabine ließ die Frage auf sich wirken, bevor sie antwortete. «Nicht dass ich davon wüsste.»
Heinlein glaubte ihr nicht. «Ist was mit Thomas?»
«Mach dir deswegen keine Sorgen. Das hat der Kilian schon abgebogen.»
«Weswegen müsste ich mir dann Sorgen machen?»
Nun konnte sie sich nicht länger zurückhalten. «Weißt du, eigentlich hast du das gar nicht verdient, so wie du mit mir umspringst. Jeden Tag deine Launen, dein Ton und die anderen Unverschämtheiten. Ich habe schon darüber nachgedacht, mich versetzen zu lassen. Wenn der Kilian nicht wäre, hätte ich das auch schon längst gemacht.»
«Es tut mir leid, das zu hören. Bin ich denn wirklich so schlimm?»
«Und ob. Seitdem du Chef geworden bist, hast du dich um hundertachtzig Grad gedreht. Du bist nicht mehr wiederzuerkennen. Kein Vergleich mehr zu dem Schorsch von früher.»
«Das Leben geht weiter, Dinge ändern sich.»
«Kann schon sein. Doch der Schorsch von früher ist mir lieber als der Erste Kriminalkommissar von heute.»
Heinlein verzichtete auf eine Retourkutsche, wenngleich er ausreichend Munition dafür besaß.
«Also», fuhr Sabine fort, «man redet über dich.»
«Ach ja? Was denn so?»
«Dass du dich verändert hast.»
«Das hatten wir schon.»
«Ja, aber auch anders. Dein plötzlicher Wohlstand hat sich unter den Kollegen herumgesprochen.»
«Welcher Wohlstand?»
«Deine neue Hütte im Frauenland. Alle fragen sich, wie du dir das leisten kannst.»
«Das ist doch mein Bier. Was geht das die Kollegen an?»
«Im Grunde genommen nichts. Aber du weißt doch selbst, was Sache ist. Unzählige Überstunden, wenig Kohle, Stress und Probleme daheim.»
«Ist bei mir nicht anders.»
«Daher fragt man sich, woher dein plötzlicher Reichtum kommt. Wir können uns das auf jeden Fall nicht leisten.»
Nun wurde Heinlein einiges klar. Die Kollegen neideten ihm sein neues Zuhause. Dass das Geschwätz aber gleich bis zum Polizeipräsidenten durchgedrungen war, überraschte ihn schon sehr.
«Es heißt, du würdest die Hand aufhalten, damit du das finanzieren kannst.»
Mit einem Mal platzte Heinlein der Kragen. «Das darf doch nicht wahr sein. Eine Unverschämtheit.»
«Habe ich auch gesagt. Der Schorsch macht so etwas nicht.»
«Und du beteiligst dich auch noch daran?»
«Ich habe dich in Schutz genommen. Nichts weiter.»
«Na, vielen Dank. Meine eigene Sekretärin beteiligt sich an einer Rufmordkampagne.»
«So ein Blödsinn. Die Leute reden halt. Und außerdem bin ich nicht
deine
Sekretärin. Merk dir das.»
Sabine stand erbost auf und warf die Tür hinter sich ins Schloss.
Heinlein musste dringend etwas gegen das Gerede unternehmen. Das könnte ihn den Job kosten.
36
Eine der wenigen lateinischen Redewendungen, die Kilian aus seiner Schulzeit noch erinnerte, lautete:
Per aspera ad astra
– was in einer freien Übersetzung so viel bedeutete wie: Vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt.
Diesen Spruch musste der Architekt der Universitätsbibliothek am Hubland im Sinn gehabt haben, als er den an die japanische Bauweise angelehnten Tempel des Wissens entworfen hatte. Bevor sie die große Eingangshalle betreten konnten, mussten Kilian und die Studenten eine beträchtliche Anzahl Stufen überwinden. Am Scheitel der Treppe angekommen, wurde man dafür mit einem grandiosen Blick über die Stadt belohnt. Hier stand für die verbliebenen Raucher ein Aschekübel bereit. Kilian nutzte das Angebot und steckte sich ein Zigarillo an.
Seltsam, dachte er, dass er, noch außer Atem, sich ausgerechnet mit einem Glimmstängel für die Kletterpartie belohnen musste.
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