Das Moskau-Komplott
umbrischen Hügeln, und nicht in den hochmodernen Konservierungslabors des Vatikans? Sie sann an einem strahlenden Nachmittag Anfang Juni über diese Frage nach, als sie den Wagen des Restaurators die Zufahrt hinunterrasen sah. Er winkte ihr soldatisch knapp zu, als er an den Stallungen vorbeibrauste, und war im nächsten Moment hinter einer hellgrauen Staubwolke verschwunden. Den restlichen Nachmittag brütete Isabella über einer anderen Frage. Warum fuhr er, nachdem er fünf Wochen lang wie ein Gefangener in der Villa gelebt hatte, plötzlich zum ersten Mal fort? Sie sollte es nie erfahren, denn den Restaurator hatte der Ruf anderer Auftraggeber ereilt. Was den Poussin anging, so sollte er ihn nie wieder anrühren.
3 Assisi, Italien
Wenige italienische Städte bewältigen den Ansturm der Touristen im Sommer eleganter als Assisi. Die Pauschalpilger kommen am Vormittag und trippeln bis zum Dunkelwerden gesittet durch die heiligen Gassen, dann werden sie wieder in die klimatisierten Reisebusse gepfercht und nach Rom in ihre preiswerten Hotels zurückgekarrt. An die westliche Stadtmauer gelehnt, beobachtete der Restaurator, wie sich eine Gruppe übergewichtiger deutscher Nachzügler mit schweren Schritten durch den Steinbogen der Porta Nuova schleppte. Dann ging er hinüber zu einem Zeitungskiosk und kaufte sich die gestrige Ausgabe der
International Herald Tribune.
Der Kauf hatte, wie sein Besuch in Assisi, berufliche Gründe. Die
Herald Tribune
signalisierte, dass er nicht beschattet wurde. Hätte er die
Repubblica
oder irgendeine andere italienischsprachige Zeitung gekauft, hätte dies bedeutet, dass er von Agenten des italienischen Sicherheitsdienstes verfolgt wurde, und das Treffen wäre abgesagt worden.
Er klemmte sich die Zeitung so unter den Arm, dass der Titelkopf nach außen schaute, und ging durch den Corso Mazzini zur Piazza del Comune. Auf dem Rand eines Brunnens saß ein Mädchen in ausgewaschenen Jeans und einem hauchdünnen Baumwolltop. Sie schob ihre Sonnenbrille in die Stirn und spähte über den Platz zur Einmündung in die Via Portica. Der Restaurator warf die Zeitung in einen Abfalleimer und lenkte seine Schritte in die schmale Gasse.
Das Restaurant, das er laut Anweisung aufsuchen sollte, lag ungefähr hundert Meter von der Basilika San Francesco entfernt. Er sagte der Wirtin, dass er mit einem Monsieur Laffont verabredet sei, und wurde sogleich auf eine schmale Terrasse mit weitem Ausblick über das Tibertal geführt. Der hintere Teil der Terrasse, zu dem eine enge Steintreppe hinaufführte, bestand aus einer kleinen Veranda mit lediglich einem Tisch. Topfgeranien säumten die Balustrade, und darüber spannte sich ein Dach aus blühendem Wein. Vor einer entkorkten Flasche Weißwein saß ein Mann mit kurz geschnittenem, rotblondem Haar und den kräftigen Schultern eines Ringers. Den Namen Laffont trug er nur während der Arbeit. In Wirklichkeit hieß er Uzi Navot und gehörte den obersten Rängen des israelischen Nachrichtendienstes an. Er war einer der wenigen Menschen auf der Welt, die wussten, dass der italienische Kunstrestaurator Alessio Vianelli in Wirklichkeit ein Israeli aus dem Jesreel-Tal namens Gabriel Allon war.
»Schöner Tisch«, sagte Gabriel, als er Platz nahm.
»Das ist eine der positiven Begleiterscheinungen dieses Lebens. Wir kennen die besten Tische in den besten Restaurants Europas.«
Gabriel goss sich selbst ein Glas Wein ein und nickte bedächtig. Ja, sie kannten alle besten Restaurants, aber sie kannten auch alle tristen Flughafenlounges, alle stinkenden Bahnsteige und alle schäbigen Transit-Hotels. Das vermeintlich glamouröse Leben eines israelischen Geheimagenten bestand in Wahrheit aus nahezu rastlosem Reisen und stumpfsinniger Langeweile, nur gelegentlich unterbrochen von kurzen Phasen blanken Entsetzens. Gabriel Allon hatte mehr solche Phasen erlebt als die meisten Agenten. Dies galt im Übrigen auch für Uzi Navot.
»Früher bin ich mit einem Informanten hierhergekommen«, sagte Navot. »Einem Syrer, der bei einem staatlichen Pharmaunternehmen gearbeitet hat. Seine Aufgabe war die Beschaffung von Chemikalien und Geräten europäischer Hersteller. Aber das war natürlich nur Tarnung. In Wahrheit arbeitete er am syrischen Chemie- und Biowaffenprogramm mit. Wir haben uns zweimal hier getroffen. Ich habe ihm einen Koffer gegeben, voll mit Geld und drei Flaschen von diesem herrlichen umbrischen Sauvignon Blanc, und er hat mir die dunkelsten Geheimnisse des
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