Das Moskau-Spiel
in Topform, und Henri war längst überzeugt, dass der kleine Mann beschließen konnte, schlagartig bester Laune zu sein. Und genauso hatte Henri verstanden, dass Scheffer mit seiner körperlichen Erscheinung geradezu kokettierte, darauf baute, dass ihn einer nicht für voll nahm, um sich dann auszusuchen, wie er es ausnutzen konnte. Während er ihn beobachtete, wuchs die Faszination, die der kleine Mann in Henri auslöste. Wie der es verstand, einen unabänderlichen Nachteil in einen unschlagbaren Vorteil zu verwandeln, ohne Schuhe mit lächerlich hohen Absätzen zu tragen, ohne sich die Haare hochtoupieren zu lassen und was für seltsame Verrenkungen kleine Leute sich noch einfallen ließen. Scheffer mit seinem Bauch und seinen langen Armen war perfekt. Es hätte Henri nicht erstaunt, Scheffer gelänge es, die Dolmetscherin zu bezirzen, bis die sich unsterblich in ihn verliebte. Henri hatte viele Kollegen bei der Arbeit beobachten können, so ein Ass wie Scheffer war nicht darunter gewesen.
Endlich erschienen die sowjetischen Verhandlungspartner. Scheffer begrüßte sie und übernahm, assistiert von der Dolmetscherin, die Vorstellung. Winterroth und Henri wurden als Letzte begrüßt. Der Leiter der Sowjets war ein kräftiger Mann mit einem runden Gesicht, auf der Stirn glänzte Schweiß. Ihm assistierte ein fast ebenso großer, aber sehr schlanker und viel jüngerer Mann mit Bürstenschnitt und nervösen Blicken. Die beiden anderen im Tross murmelten ihre Namen und zogen sich nach dem Händedruck gleich ein Stück zurück. Die Delegationen setzten sich gegenüber, Henri zog einen Stuhl schräg hinter Scheffer und nahm in der zweiten Reihe Platz, wie es sich für einen Helfer gehörte.
Kaum saßen alle, betraten zwei Kellnerinnen den Raum. Sie schoben einen Wagen mit Kannen, Tassen, Tellern, Schälchen mit Keksen und verteilten alles auf dem Tisch. Als sie endlich die Türen von außen hinter sich geschlossen hatten, hielt der sowjetische Delegationsleiter eine freundliche Ansprache zur Begrüßung. Henri konnte von seinem Platz aus Winterroth gut beobachten, aber was sollte er da schon sehen?
Nach der sowjetischen Begrüßung folgte die des Mannesmann-Vertreters, flüssig übersetzt von der Dolmetscherin, deren Namen Henri immer noch nicht kannte. Sie hatte ein fein gezeichnetes Gesicht. Es bereitete ihr keinerlei Mühe zu dolmetschen. Wenn der Mannesmann-Typ einen Witz versuchte, was er mangels Talent besser unterlassen hätte, mühte sich die Dolmetscherin, den sowjetischen Vertretern nahezubringen, dass sie lachen sollten, was sie dann höflich taten. Der Mannesmann-Boss beschwor in drögen Worten die deutsch-sowjetische Freundschaft, die seiner Firma besonders teuer sei. Er hoffe sehr, dass das weltpolitische Klima sich bald wieder aufhelle, bevor es die Wirtschaft schädige.
Irgendwann schaltete Henri ab und beobachtete Winterroth, was leicht war, denn der hatte nur Augen für die Dolmetscherin. Henri überlegte, wie er ihn provozieren oder sonst wie zu einem Fehler veranlassen könnte. Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, die Dolmetscherin in ein Intrigenspiel zu ziehen, aber er hatte keine Lust auf KGB – Methoden und zweifelte auch, dass sie mitmachen würde. Außerdem konnte er nicht ausschließen, dass sie für die Konkurrenz arbeitete. Wahrscheinlich berichtete sie nach dem Treffen brav ihrem Führungsoffizier, den Henri gleich Dimitri taufte und der gewiss ein ekliger Fettsack war, der zu viel trank. Henri grinste innerlich bei der Vorstellung, während Winterroth die Dolmetscherin weiter anstarrte, als wären seine Augen Laserkanonen von Aliens, die mal schnell die Menschheit ausrotten wollten. Wie oft hatte er sie in Gedanken schon ausgezogen?
Henri ließ seine Augen zu Scheffer wandern. Der lauschte den Worten des Mannesmann-Vertreters, als wären sie die Offenbarung. Der Mann konnte sich besser verstellen als ein Chamäleon, Henri war sicher, dass Scheffer das Gerede genauso langweilig fand wie er. Doch Scheffers leicht geöffnete Lippen und seine strahlenden Augen, die kaum merklichen Bewegungen des Kopfes, den er mitgehen ließ mit den Betonungen des Redners, zeigten nur, dass er gar nicht genug kriegen konnte von dem Sermon, hinter dem nur ein Gedanke stand: Profit. Hätte Krieg sie noch reicher gemacht, sie hätten mit ihrem gesamten Hirnschmalz bewiesen, dass es für die Menschheit nichts Besseres gebe als ein kleines reinigendes Gewitter, dessen Gefahren von ein paar Spinnern
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