Das Moskau-Spiel
maßlos überzeichnet würden. Solange sie Röhren verkaufen konnten an einen Kunden, der stets pünktlich bezahlte und mit seinen Riesenkreditenauch noch die Banken beglückte, so lange wollten sie den Frieden und konnten sich nichts anderes vorstellen als dieses Paradies auf Erden, das auch dank ihrer unermüdlichen Handelserfolge vor aller Augen erwuchs. Doch Scheffer schien fast aufgelöst in dem Klangteppich des Firmenvertreters, den dieser mit einer etwas nöligen Stimme bald um ganz Moskau gewebt hatte.
Plötzlich war er fertig, Henri erschrak fast.
Nachdem die Dolmetscherin die letzten Worte übersetzt hatte, nickten die Sowjets beifällig, aber gewiss weniger wegen der Rede, sondern wegen der Röhren, die eben so verkauft wurden.
Es entspann sich nun ein zäh beginnender, doch immer lebhafter werdender Austausch, der die Dolmetscherin ins Schwitzen gebracht hätte, wenn es auch nur denkbar gewesen wäre, dass ihre perfekte Erscheinung durch so etwas Banales wie Schweißtropfen hätte befleckt werden können. Mitten im verbalen Feuer blieb sie kalt wie ein Eisberg. Henri beschloss, Scheffer zu fragen, wo er die Frau aufgetrieben hatte. Nicht weil sie ihn als Mann besonders ansprach, dafür war sie zu perfekt, und nur ein selbstverliebter Idiot wie Winterroth mochte ihre Unnahbarkeit nicht erkennen. Wie schaffte man es, in Moskau jemanden von dieser Qualifikation für diesen heiklen Job zu finden, ohne sich mit dem KGB einzulassen?
› ‹
Auf dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen wartete die Reisegruppe am Vormittag in der Airbräu Tenne, einem bayerischen Lokal in der Ebene 3. Als Theo in die Gaststätte kam, sah er die Gruppe um einen Tisch sitzen.
»Sie sind die Reisegruppe nach Moskau?«
»Du bist der Theo«, sagte eine kleine Frau mit halblangen brauen Haaren, als wäre das sonnenklar. »Setz dich. Ich bin die Alda.«
Er setzte sich auf einen Stuhl und schaute in erwartungsvolle Gesichter. »Danke, dass ihr mich mitnehmt.«
»Ist uns ein Vergnügen«, sagte der einzige Mann in der Runde, fast hager, mittelgroß, lange gekräuselte braune Haare und eine eher altmodische Brille mit Stahlrahmen auf der Nase. »Wenn du dich anständig benimmst«, ergänzte er. »Robert«, sagte er dann noch.
Theo grinste, aber er war sehr unsicher. »Ich bemühe mich.«
»Und was führt dich nach Moskau?« Eine hübsche Frau mit langen schwarzen Haaren, groß gewachsen, schlank, schaute ihn nicht feindselig, aber doch ein wenig abweisend an. Du bist auf Bewährung, sagte ihr Blick.
»Privatkram«, druckste Theo. »Würde ich eher nicht so gern drüber sprechen.«
Die Langhaarige: »Ich heiße Marion, und du hast dich in eine Russin verliebt.«
Theo faltete die Hände, knetete sie ein bisschen. »So was … Ähnliches.«
Marion lächelte. Er hatte ein paar Punkte gewonnen, wusste aber nicht, bei welchem Punktestand er den Hauptpreis einstreichen würde. Schön bedeckt bleiben.
»Was heißt, dass wir dich bei unserer Tour selten sehen werden«, sagte Robert.
Theo hörte kein Bedauern heraus. Er nickte. »Wahrscheinlich. Mal sehen …«
Am einen Kopfende des Tisches saß eine Frau mit roten Haaren, klein, ein wenig untersetzt, sie hatte bisher nur zugehört.
»Eigentlich sind wir ja eine Gruppe«, sagte sie. Sie lehnte sich nach hinten und ließ ihre Augen die Decke betrachten. »Allerdings kennen wir anderen uns schon ein bisschen länger.« Das klang so wie: Mach, was du willst. Wir erwarten sowieso nichts von dir.
Theo bestellte einen Milchkaffee und hörte der Unterhaltung der anderen zu. Sie sprachen über das Hotel – hoffentlich würden sie im schon renovierten Teil untergebracht und nicht im spätsowjetischen –, das Essen – das ist in Russland eigen, aber sehr interessant –, die Reiseführung – die einem unbedingt die Metro erklären muss, allein schon wegen der kyrillischen Schrift. Ab und zu streiften Blicke zu Theo, wie um sich an seinen Anblick zu gewöhnen.
»Was machst du denn beruflich?«, fragte Robert.
»Liegenschaftsamt«, sagte Theo, und prompt war das Thema erledigt.
»Und wann hast du … sagen wir mal den Grund deines Moskaubesuchs kennengelernt?«
»Als ich zuletzt in Moskau war. Sie heißt Sonja.«
»Ach, du warst schon dort?«
»Ja.«
»Einfach so?«
»Einfach so.«
Robert blickte ihn noch ein paar Sekunden an, als wollte er sich vergewissern, ob er ihm glauben könne, dann wandte er sich ab und hörte zu, was die anderen besprachen.
Er saß neben einer Frau mittleren
Weitere Kostenlose Bücher