Das Moskau-Spiel
Botschaft besuchte, sonst aber drahtig durch die Sowjetunion reiste und gar nicht begeistert genug sein konnte von diesem, wie sie sagte, herrlichen und großen Land.
»Towaritsch wächst und gedeiht?«, fragte er, als Henri in der Tür stand.
»Er wird mal ein ganz großer Genosse.«
»Vielleicht Generalsekretär?«
»Warum? Brauchen die mal wieder einen Neuen?«
»Es wird Tschernenko, hab ich aus sicherer Quelle.«
»Um Gottes willen!«, entfuhr es Henri. Und er dachte an Eblow und an Rachmanow.
Weihrauch schaute ihn fragend an.
»Der Mann ist der personifizierte Stillstand.«
»Natürlich«, sagte Weihrauch. »Das Politbüro hat sich entschieden, bloß nichts zu verändern. Ich glaube, die sind froh, dass Andropow gar nicht richtig zum Zug gekommen ist. Der hätte ja was unternehmen können …«
»Das ist lebensgefährlich«, sagte Henri. »Reagan und Tschernenko, da wird nichts laufen, keine Verhandlungen, und wenn doch, keine Ergebnisse.«
Weihrauchs Gesicht signalisierte: Na und?
»Und irgendwann kracht’s«, schnaubte Henri.
»Ach, Sie Schwarzmaler!« Weihrauch lachte. »Weshalb ich eigentlich gekommen bin. Herr Scheffer ist im Haus. Er würde gerne auch mit Ihnen sprechen. Ich hoffe, Sie haben Zeit. Es geht da um eine Delegation aus dem Ruhrpott, die Röhren verkauft, und das soll in den Medien natürlich schön rüberkommen. Damit unsere Regierung auch ein bisschen was abkriegt vom Glanz.«
Sie gingen spazieren, am Tierpark vorbei. Natürlich folgte ihnen ein Auto, ein grauer Lada, darin zwei Männer mit Brillen.
»Kann ich Sie als meinen Pressesprecher engagieren?«, fragte Scheffer. Sie siezten sich meistens, solange sie in der Sowjetunion waren. Scheffer hatte darauf bestanden. Er musste mehr Schritte gehen als Henri, aber er tat es routiniert. Er gestikulierte gerne, wandte sich immer wieder von der Seite an Henri, als müsste er auf ihn einreden. Henri kam es so vor, als wäre es Scheffers Masche, Aufgeregtheit zu mimen, ohne auch nur eine Sekunde aufgeregt zu sein. Er überlegte, was die Beschatter davon hielten, und er lachte leise vor sich hin. Scheffer war ein einziges biologisches Täuschungsmanöver, angefangen schon bei seinem merkwürdigen Körperbau, seiner Hässlichkeit, die mehr als ausgeglichen wurde durch Augen, die tief waren und eine Gemütsruhe ausstrahlten, die im Gegensatz zum äußeren Schein jede Nervosität leugnete.
»Ich möchte, dass Sie nachher bei uns sitzen. Gucken Sie sich die Leute an.«
»Gerne«, sagte Henri. »Warum?«
»Wissen Sie, warum die Sowjetunion, eigentlich größter Stahlproduzent der Welt, nach eigener Angabe jedenfalls, warum diese Sowjetunion seit Jahren Röhren bei Mannesmann und Co. kauft? Weil sie nicht selbst in der Lage ist, nahtlose Röhren dieser Qualität herzustellen. Weil das Gas beim Erdgas-Röhren-Deal, Sie erinnern sich, das war vor ein paar Jahren, durch eine Pipeline von Mannesmann-Röhren nach Westen strömt. Schon seit den Sechzigerjahren, da gab es sogar mal ein wahrlich schwachsinniges Röhrenembargo der NATO gegen den Osten, versucht das KGB , die Fertigungstechniken zu klauen. Sie bieten unseren Ingenieuren und Managern reichlich Geld, wenn die da ein bisschen helfen. Ich habe einen Typen im Verdacht, dass sich seine Hilfsbereitschaft ein wenig … sagen wir mal entwickelt. Er hat Schulden, die unsere Freunde natürlich gerne übernehmen würden.«
»Schulden durch was?«
»Das Übliche. Geliebte, nicht nur eine, Protzvilla, und der Dienst-Benz genügt ihm auch nicht. Der Typ ist Ingenieur, leider ein ziemlich guter. Hat gerade irgendein neues Verfahren entwickelt, das die Produktion beschleunigt und verbilligt. Fragen Sie mich bloß nicht, wie. Davon habe ich keine Ahnung. Wir haben keine Beweise, jedenfalls nicht hier, aber die Kollegen in Köln haben uns einen Tipp gegeben …«
»Wenn das mal stimmt«, sagte Henri. »Die Kollegen vom Verfassungsschutz könnten Wüsten bewässern …«
Scheffer lachte, ein leises, freundliches Lachen.
Henri dachte an sein Gespräch mit Eblow. Konnte er jetzt einfach so weitermachen? Diese Frage quälte ihn.
Er fühlte sich wie ein Verräter, aber er hatte nichts verraten, sie hatten nicht einmal darum gebeten, dass er etwas verriet. Sollte er einfach weitermachen oder sich offenbaren und sich nach Hause versetzen lassen? Die Entscheidung musste er bald treffen, sonst geriet er in Erklärungsnot. Warum haben Sie das nicht gleich ge meldet? Jeder Kontakt zu gegnerischen Diensten
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