Das Moskau-Spiel
Putin.« Er klang bitter, als er es sagte. Natürlich würde ihm keiner glauben, dass der Mann, den die Gerichtsmedizin so unfein abserviert hatte, zufällig in die Datscha von deren Chef einstieg. »Sie haben hier Beweise für Ihre abwegigen und das große Russland verleumdenden Lügen gesucht und natürlich keine gefunden. Merken Sie sich diese Ausrede und seien Sie vor allem überzeugend, wenn Sie sie benutzen. Vielleicht komme ich dann ja mit einem blauen Auge davon.«
Sie betraten den Wohnraum, einen Flur gab es nicht. Auf dem Boden ein alter, schwerer Teppich, auch die Stühle, der Sessel und der Tisch sahen aus, als hätte schon Lenin darauf gesessen. Protossow öffnete die Läden, fahles Licht fiel durch schmutzige Fenster in den Raum.
»Um die Nachbarn müssen Sie sich nicht kümmern. Die Einzigen, die da sind, sind Zugezogene, die sich nur für sich interessieren. Im Winter ist hier so gut wie nichtslos. Das ist Ihr Glück … ah, hier ist der Heizlüfter.« Er zog einen roten Blechkasten mit einem silbrigen Gitter hinter dem Sofa hervor, entwirrte das Stromkabel und steckte den Stecker in eine Buchse. Gleich begann das Gerät laut zu surren, und als Theo seine Hand in den Luftstrom hielt, spürte er die Wärme. Immerhin.
Protossow beschrieb Theo den Weg zum Bahnhof, zeigte auf einen Zettel, der an der Wand hing – »die Abfahrtszeiten« –, und führte ihn in eine erstaunlich geräumige Küche mit einem alten Elektroherd – »die Platte hier links vorn funktioniert nicht« – und einem massigen Kohleherd. Rechts zweigte eine schmale Tür zur Speisekammer ab. »Hier sind ein paar Konserven, die können Sie aufessen. Auch eingelegtes Gemüse, sehr zu empfehlen. Die Nahrung in unseren zivilisierten Arbeitslagern ist zurzeit, wie man so hört, leider nicht ganz so gut.«
Dann war er weg, mit einem mürrischen Brummen und einer Handbewegung, die unterstrich, dass er das Allerschlimmste erwartete und doch hilflos war, es zu verhindern.
Theo machte einen Rundgang durch die Wohnung, bewunderte wieder den Kohleherd, entdeckte Dosen mit getrockneten Gewürzen, inspizierte die Blechtöpfe und eine ramponierte Pfanne, erschrak beim Anblick des Badezimmers mit einem angelaufenen Becken, einem kalküberzogenen Wasserhahn und einer Kloschüssel, die jeder Beschreibung spottete. Aber das würde er überleben.
Im Wohn- und Schlafraum entdeckte er ein paar Bücher, von beiden Tolstois, Fedow, Simonow.
Dann setzte sich Theo auf den Sessel, streckte die Beine und den Rücken und versuchte zu überlegen, wie er vorgehen sollte. Doch je länger er nachdachte, desto unklarer wurde ihm alles. Er grübelte immer weiter und fand nicht den geringsten Ansatz. Er hatte so gehofft, dass Protossow ihm verraten würde, warumund von wem Scheffer ermordet worden war. Dass es kein Verkehrsunfall war, lag von Anfang an auf der Hand. Genauso, dass da etwas vertuscht werden sollte. Und dass man nur dann etwas vertuschte, wenn man etwas verbergen wollte. Es musste schon eine größere Sache sein, die sie verbergen wollten. Vielleicht hatten sie Scheffer aus Versehen umgebracht? Hatten ihn verhaftet und dabei wurde er getötet, wie es doch passieren kann. Ein Schuss, der sich löst. Ein Sturz bei der Verfolgung. Ein Verkehrsunfall bei der Überführung des Gefangenen.
Was wollte er eigentlich in Moskau?
Zurück zum Ansatzpunkt. Wo sollte er suchen? Wen sollte er fragen? Den toten Briefkasten am Ismailowopark, sollte er den aufsuchen? Ob noch etwas darin lag, das weiterhalf? Warum hatte er nicht daran gedacht, als er im Hotel daneben war? Weil er nicht jeden Fehler machte, der sich ihm aufdrängte. Mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit hatte das FSB den Briefkasten geräumt, und wie er die Brüder kannte, fanden sie nichts dabei, ihn weiträumig zu überwachen. Wehe dem, der sich dem Briefkasten näherte. Oder sie steckten etwas hinein, das ihn auf die falsche Spur brachte, immer die FSB – Typen im Schlepptau. Die sind hier zu Hause, nicht du.
Er zerbrach sich weiter den Kopf, ging auf und ab, schaute sich aus lauter Verzweiflung noch einmal das gesamte Inventar des Holzhauses an, das besser Hütte genannt würde, und kam immer zum selben Ergebnis. Die Einzige, die er fragen konnte, war Sonja.
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»Nichts leichter als das, bitte sehr!« Henri zog das Portemonnaie aus der Gesäßtasche und schob es über den Tisch zu Eblow. »Wenn Sie mit einer Anzahlung auf die zehn Millionen einverstanden sind.«
Der Major
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