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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Löcher, die irgendein zerstörungswütiger Idiot in die Seitenwände der Hütte gerissen hatte. Die Kälte, die Unruhe und die Angst trieben Theo gleich wieder hoch, und er lief den Bahnsteig auf und ab, blickte auf Nutzgärten, Blockhäuser, Garagen und kleine Treibhäuser, die mit dem grauen Horizont zu einer trostlosen Masse mit Einsprengseln zu verschmelzen schienen. Aber vielleicht war das auch nur die Trübnis seiner Gedanken, denn der Mensch sieht weniger mit den Augen als mit dem Gehirn. Wie beim Geheimdienst ist die Auswertung entscheidend. Theo sah diese Dinge ganz klar und war sich über seinen inneren Zustand bewusst.
    Als der Zug kam, fand er eine Bank ohne Sitznach barn und ohne Gegenüber. Der Fensterschmutz machte die Aussicht noch trostloser. Er hörte das rhythmische Zischen eines MP 3-Players ein paar Bänke weiter, sah aber nicht, wer die Kopfhörer aufgesetzt hatte. Der Ton war metallisch, er hörte sich für Theo an wie die mu sikalische Ankündigung seines Untergangs. Klackende Handschellenschlösser, das Knallen von Autotüren, das Anlassen des Motors. Er hätte jetzt gerne seinen Player benutzt und Chickenfoot gehört. Aber der Player lag in seiner Wohnung in München.
    Während der Fahrt prüfte er seinen Plan, kalkulierte das Risiko und fand einmal mehr, dass es geringer war als hundert Prozent. Aber nur ein bisschen. Er hätte jetzt gern was getrunken.
    Theo sah die laublosen Wälder vorbeiziehen, die verfallenen Gehöfte, die abgelöst wurden von Wohnblöcken und Werkstätten, dann wieder Wald und wieder eine Ansiedlung. Irgendwie war alles grau. Seine Unruhe wuchs mit jedem Kilometer, den sich der geräumige Waggon mit seinen blauen Sitzbänken der Innenstadt näherte.
    Im Jaroslawer Bahnhof ließ er sich treiben im Menschenstrom, erschrak, als er eine Milizkontrolle vor dem Ausgang erkannte, und war erleichtert, dass sie mal wieder auf Tschetschenenjagd waren. Er fuhr mit der Metro zur Gerichtsmedizin und hoffte dort, dass nicht auffiel, wie er den Eingang belauerte. Er raunzte Straßenhändler an, die ihm Zigaretten, Schnaps und wahrscheinlich auch Drogen und Eintrittskarten für Stripteaselokale andrehen wollten, bis sie es endlich aufgaben. Nie verließ sein Blick den Eingang, den hatte er mindestens im Augenwinkel.
    Da sie immer noch nicht auftauchte, fürchtete er, sie sei krank geworden und er warte umsonst. Dann war er wieder froh, dass sie nicht erschien, denn sobald sie ihn sah, müsste sie ihm doch die Miliz auf den Hals hetzen.
    Als er gerade überlegte, ob er nicht aufgeben sollte, sah er die eher kleine, drahtige Frau, die sich mit einer schwarzen Wollmütze und einem Pelzmantel gegen die Kälte schützte. Er erkannte sie zuerst an ihrem fast sportlichen Gang. Sie federte die Straße entlang. Manchmal blieb sie vor Schaufenstern stehen wie eineFrau, die Zeit hat, den Schönheiten des Lebens wenigstens einen Blick zu widmen. Theo musste sich nicht groß verstecken, er hielt sich kaum hundert Meter hinter ihr, sie schaute sich nicht um. Wer sollte sie auch verfolgen? Sie war regierungstreu bis zum Abwinken, das hatte sie bewiesen.
    Fieberhaft überlegte er, wie er es anstellen sollte. Wie konnte er sie unter Druck setzen? Sollte er sie mit Enthüllungen bedrohen? Das würde sie nicht sehr beeindrucken, da in Russland ohnehin kaum noch etwas gedruckt oder gesendet wurde, das der Regierung unangenehm werden könnte. Sollte er an ihre Ehrlichkeit appellieren, an ihre Moral, an die Nacht, die sie zusammen verbracht hatten, also an Dinge, die ihr offenkundig herzlich gleichgültig waren? Obwohl in der Nacht …, aber vielleicht hatte sie Talent zur Schauspielerin. Er stellte sich vor, wie sie enthusiastisch rief: Für Putin tue ich alles! Für ihn gehe ich auch mit NATO – Agenten ins Bett und spiele große Gefühle.
    Sie stand vor einem Nobelladen, Pelze im Schaufenster, Mäntel, Mützen. Ihre Silhouette spiegelte sich schemenhaft im Glas. Theo konnte zwar die Preisschilder nicht lesen, aber das musste er auch nicht, um zu wissen, dass sie Ziffern anzeigten, die weit jenseits von BAT irgendwas angesiedelt waren.
    Er schaute sich um und wartete, ob sich jemand auffällig unauffällig zeigte. Im Augenwinkel sah er sie immer noch vor dem Schaufenster stehen. Dann bummelte sie weiter. Er hatte niemanden erkannt, der ihr oder ihm folgte. Aber was hieß das schon?
    Er hätte jetzt gern was getrunken.
    Am wenigstens würde es hier auf der Straße auffallen, sagte er sich. Er rannte

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