Das Moskau-Spiel
lächelte, zog an seiner Zigarre und beachtete die Geldbörse nicht. Lange sagten sie nichts, Rachmanow schien entrückt in einer fernen Welt, wie er da saß mit halb geschlossenen Augen, während seine Lippen lautlos sprachen. Seine gegelten Haare glänzten im matten Licht, das im weißgrauen Zigarrenrauch gebrochen wurde.
»Wir Russen neigen bekanntlich zum Pathos«, sagte Rachmanow endlich. »Es gibt Ausnahmen, zu denen zum Beispiel ich zähle. Und doch sage ich Ihnen: Es geht um nicht weniger als um die Rettung der Welt. Wir drei, die wir hier sitzen, wir haben die Aufgabe, die Welt zu retten. Und das Schlimmste ist vielleicht, dass uns niemand den Auftrag gegeben hat, es zu tun. Wir machen es, weil wir es für richtig halten.«
Henri schaute ihn lange an, während die anderen beiden Henri musterten. Henri wartete auf ein befreiendes Lachen, darauf, dass der Witz weitererzählt würde. Aber der Witz wurde nicht weitererzählt. Rachmanow meinte es bitterernst, das sagten seine Augen und sein Gesicht, das eingefroren schien und noch grauer.
»Zehn Millionen Dollar für die Rettung der Welt, das ist billig«, sagte Eblow fast gelassen, und dadurch wirkte es mit Verzögerung umso eindringlicher. »Wir haben viele Schwierigkeiten bei der Sache, die wir tun müssen, aber die erste Hürde ist das Geld. Ohne Geld wird es nicht gehen.«
Henri war immer noch verwirrt. Allmählich erschien ihm diese Zusammenkunft wie ein Traum oder das Vorstadium des Deliriums, und er überlegte, ob sie ihm etwas eingeflößt hatten, das ihm den Verstand raubte. Fast hätte er sich selbst gekniffen.
»Und was habe ich damit zu tun?«, fragte Henri und hoffte, sie würden nicht merken, wie hilflos er sich fühlte.
»Sie müssen es beschaffen.« Eblow klang immer noch so seltsam gelassen.
»Wofür?« Gut, lass ich mich mal ein paar Minuten auf das Spiel ein. Wenn es den Herren Spaß macht, bitte!
»Für das Projekt R-33.«
Jetzt starrte Henri von einem zum anderen und wieder zurück.
»Sie kriegen die modernste Version der MiG-29 und Konstruktionszeichnungen für das Nachfolgemodell, die MiG-33. Beide haben Sie im Westen nicht, auf beides sind die westlichen Dienste scharf, und das sollte Ihnen das Geld doch wert sein, oder? Die Amerikaner zahlen doch für jedes unserer Flugzeuge, das sie kriegen können, Prämien. Jetzt bieten wir das Allerneueste. Das ist doch diesen Preis wert, oder?«
Jetzt verstand Henri gar nichts mehr. »Sie wollen die Welt retten und dazu verkaufen Sie Flugzeuge?«
Die beiden Russen lächelten. »So ungefähr«, sagte Eblow. »In Wahrheit ist die Sache ganz einfach, im Grundsatz jedenfalls.« Und dann begann er zu erklären, worin ihr Plan bestand. Henri hörte zu, unterbrach ihn nicht ein einziges Mal, beobachtete die Hand, die den Schnurrbart zwirbelte, wartete ungeduldig, bis die Sprechpausen beendet waren, und begriff allmählich, dass er es entweder mit Verrückten zu tun hatte oder mit Helden. Doch eigentlich war die Sache klar, das Konzept widerspruchsfrei und die Voraussetzungen so unwiderlegbar wie die Schlussfolgerungen.
Sie brauchten mehr als eine Stunde, um die Sache zu diskutieren. Danach sagte Henri, er werde es sich überlegen. Er kenne jedenfalls keinen, der von einer tausend Meter hohen Steilwand ohne Fallschirm herabspringe, ohne vorher noch einmal darüber nachzudenken.
Eblow nickte. Er überlegte einen Augenblick, und dann sagte er: »Für den Fall, dass irgendetwas schiefgeht, dass die Pläne sich ändern oder Unvorhergesehenes geschieht, vereinbaren wir jetzt eine Losung: ›Wladimir lässt grüßen‹. Wenn ich Sie anrufe oder Sie mich und das Losungswort sagen, dann treffen wir unsgenau zwei Stunden später am stadtseitigen Eingang des Gorkiparks.«
Er nannte ihm die Telefonnummer, Henri wiederholte sie und speicherte sie so für immer in seinem Gedächtnis.
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Theo verzichtete aufs Frühstück, er hätte sich ein Glas aufmachen müssen, das war nicht verlockend. Nach dem Ankleiden lief er zum kleinen Bahnhof, der aus einem Bahnsteig bestand und einer baufälligen Holzhütte mit einer mit Schnitzereien und Schmierereien übersäten Bank, auf deren einem Ende eine erstaunlich modern gekleidete junge Frau mit blondierten Haaren saß. Dann sah er ein Stück weiter das Schalterhäuschen, wo ein gelangweilter Bahnangestellter ihm einen Fahrschein verkaufte. Theo ging zur Hütte und setzte sich ans andere Ende der Bank, aber der eisige Wind pfiff fast ungehindert durch die
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