Das Moskau-Spiel
dort. Und das Liebespaar war auch verschwunden. Ob sie ein, zwei Leute zurückgelassen hatten? Er hatte schon in der Gaststätte überlegt, wie Sonja ihn hereinlegen würde. Er vermutete, dass er wie geplant in ihr Büro in die Gerichtsmedizin einbrechen sollte, damit sie ihn auf frischer Tat erwischen konnten. Alles andere wäre Blödsinn gewesen. Sie hatte ihm eine günstige Zeit genannt, aber er war nicht gekommen, und die FSB – Leute glaubten gewiss, er habe sich nicht getraut.
Vorsichtig näherte er sich dem Gebäude der Rechtsmedizin, ging daran vorbei und bog in die nächste Straße links ein. Keine auffälligen Autos, keine Passanten, fast schon zu tot. Doch hier war auch tagsüber wenig los. Das Gelände der Rechtsmedizin war mit einem Zaun gegen die Seitenstraße gesichert, oben waren die Pfosten nach außen gewinkelt, dort war Stacheldraht gespannt. Theo schaute immer wieder nach einer Möglichkeit, den Zaun zu überwinden. Vielleicht war auch ein Alarmdraht gezogen. Allerdings war das keine Bank, und der Stacheldraht diente vor allem dazu, Junkies und andere Idiotenabzuschrecken, die sich im Gebäude Pillen oder einfach nur Geld erhofften.
Er erschrak, als ein Schatten über die Straße huschte. Zwei leuchtende Augen schauten ihn an, die Katze starrte, bis sie nach ein paar Sekunden lautlos verschwand. Er ging weiter und hoffte, dass es etwaigen Beobachtern entging, wie begierig er eine Chance suchte, auf das Gelände zu kommen. Er stieß auf eine Kreuzung, an der er links abbog, um parallel zur Gebäuderückseite weiterzulaufen. Er entdeckte eine Stahltür, die in den Zaun eingebaut war. Sie hatte einen kräftigen Rahmen und senkrechte Verstrebungen, die sich vielleicht von Superman hätten verbiegen lassen. Er blieb stehen, nestelte demonstrativ an seiner Kleidung, band sich mal wieder die Schnürsenkel und inspizierte im Schummerlicht einer wenige Meter entfernten Straßenlaterne das Türschloss. Theo kramte in den Jacketttaschen nach seinem Schweizer Taschenmesser, die Luft drang eiskalt an seine Rippen, als er den Mantel nur ein paar Sekunden öffnete. Auf die Stirn trat Schweiß, während er die Werkzeugklingen des Messers am Schloss ansetzte, aber es ließ sich von der Schweizer Präzisionsarbeit nicht beeindrucken. Theo steckte das Messer schließlich in die Manteltasche und zog weiter auf seinem Marsch um das Gelände der Rechtsmedizin.
Schon von Weitem erkannte er an der nächsten Kreuzung drei große Müllcontainer in einer Einbuchtung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er schaute sich wieder einmal unauffällig um, um sich gleich zu sagen, dass es albern war. Wenn ihn jemand beobachtete, wusste der längst, dass Theo aufs Gelände wollte. Der näherte sich den Containern, verglich mit den Augen ihre Höhe mit der des Zauns, öffnete die Klappen und erkannte, dass der Container in der Mitte fast leer war. Du bist verrückt, sagte er sich, aber er hatte sich eben in diese Sache verbissen, und in seiner Hartnäckigkeit und Sturheit ließ sich Theo nicht einmal von Henriübertreffen. Das hatte er als Kind schon lautstark bewiesen. Theo stellte sich neben die Container und suchte mit den Augen die Häuserfassaden auf seiner Straßenseite ab. Ganz hinten drang Licht auf die Straße, aber es war durch einen Vorhang gedämpft. Der Asphalt war nicht gerade neu, wies aber keine tiefen Löcher auf. Einen Bürgersteig gab es nicht. Seine Armbanduhr zeigte zwanzig nach zwei Uhr an, die Streife um die Rechtsmedizin musste schon vorbei sein, wenn Sonjas Angabe stimmte. Er untersuchte den mittleren Container, fand den Stahlhebel, mit dessen Hilfe zwei Räder blockiert wurden, und löste die Bremse. Das schaffst du nie, war sein nächster Gedanke, das Ding ist zu schwer. Er stützte sich mit den Händen auf die hintere Seite des Containers und warf sich mit seinem Körper dagegen, während Arme und Beine mit aller Kraft drückten. Mit einem stählernen Ächzen begann das Gefährt zu rollen. Jetzt muss ich das Teil unbedingt in Bewegung halten. Er drückte wie ein Wahnsinniger, schnaubte, seine Sohlen kratzten auf dem Asphalt, dann stand der Container endlich am Zaun. Er arretierte die Bremse. Theo trat noch einmal auf die Straße und blickte hinauf und hinab, aber da war nichts. Niemand schien etwas gehört zu haben, auch wenn sein Hirn Beamer spielte und ihm Bilder mit Russen in Bademänteln vorgaukelte, die in verkitschten Fluren wild gestikulierend nach der Miliz telefonierten, weil draußen
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