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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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gedämpften Taschenlampenlicht seinen Weg suchte, und zwar nach einer bürokratischen Grundweisheit, dass nämlich die Chefs immer oben zu finden sind. Als er die Treppe hochhastete, den Aufzug zu benutzen traute er sich nicht, dachte er an die Lebensbedingungen in russischen Lagern und hatte auch noch den Nerv, darüber zu sinnieren, ob das Wort »Leben« in diesem Zusammenhang angemessen sei. Es war die Angst, die sich ihre Wege suchte, und manchmal neigt sie zu Scherzen, die sich bei genauerem Hinsehen als Vorstufen der Panik erweisen.
    Ab dem zweiten Stockwerk begann er zu schnaufen. Er war nicht in Form, hatte lange nicht trainiert und kassierte jetzt die Quittung für seinen Absturz in den Suff. Doch die Angst und die Neugierde trieben ihn in den dritten, dann in den vierten Stock. Während des Aufstiegs hatten ihn die Zweifel geplagt, ob die Russen sich an die ungeschriebenen Gesetze der Bürokratie hielten, doch tatsächlich fand sich das Büro des stellvertreten den Leiters der Gerichtsmedizin direkt neben dem von Protossow. Das Türschild verriet, dass er Prof. T. I. Sucha now hieß. Theo lauschte die Treppe hinunter und den Gang entlang, aber er hörte nichts. Dann nahm er sein Hilfsbrecheisen, stemmte es wieder zwischen Tür und Rahmen, schlug es mit dem Handballen unter Schmerzen einige Zentimeter tiefer in den Spalt und riss dann den Schraubendreher zu sich. Ein Knacken, und die Tür war offen.
    Er stand in einem Vorzimmer, die Tür zu Suchanows Büro musste er ebenfalls aufbrechen. In der Ecke stand ein Gummibaum, und das Zimmer schien auf den ersten Blick perfekt aufgeräumt zu sein. Ein Regal, ein Wandschrank, ein Schreibtisch. An der Seite des Wandschranks hing an einem Haken ein Arztkittel. Auf dem Schreibtisch lag nichts. Theo brach die Schubladen auf, dann begann er eine nach der anderen zu untersuchen. Glücklicherweise gab es keinen Safe. Theo nahm keine Rücksicht auf die Ordnung, er schüttete den Inhalt der Schubladen auf die Schreibtischplatte, wühlte sich durch und schob den Haufen auf den Boden. In der dritten Schublade der linken Seite stieß er auf Aktenordner: Obduktionsfälle, Krankheitsdaten, Personenangaben, Arztnotizen, Auswertungstabellen, Laborberichte, Fotos. Er blätterte in den Akten auf der Suche nach Daten über Scheffer, fand aber nichts, weder den Namen noch ein Foto.
    Dann nahm er sich den Wandschrank vor, dessen Schloss dem Schraubenzieher ebenso wenig standhielt. Drei säuberlich aufeinandergelegte Stapel von Akten, der rechte höher als die beiden anderen. Auf dem linken lag ein Papier mit der Aufschrift Gesundheitliche Belastungen der Führung von Partei und Staat. Sonst nichts. Er setzte sich an den Schreibtisch.
    Es war ein Fehlschlag. Hier würde er nichts finden über Scheffer. Und dort, wo Sonja gesagt hatte, dass etwas liegen könnte, lag auch nichts. Sie hatte sich nicht einmal die Mühe gegeben, so zu tun, als wäre es keine Falle. Die Enttäuschung packte ihn. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, nicht fest, aber mehrfach. Dannlehnte er sich zurück und versuchte sich zu konzentrieren. Bist selbst schuld, wie kann man nur so blöd sein?
    Wie sollte er herauskommen? Einen Weg über den Zaun zurück gab es nicht, der Container stand auf der anderen Seite. Da blieb nur eine Möglichkeit, und die grenzte an Irrwitz. Er konnte es aber erst am Morgen versuchen. Was sollte er bis dahin tun, um nicht verrückt zu werden?
    Er nahm den ersten Aktenstapel und setzte sich an den Schreibtisch. Die oberste Akte war beschriftet mit Feliks E. Dserschinski. Er öffnete sie und stieß auf das Foto des Tschekagründers, tot sah er noch hagerer aus, fast wie ein Skelett, dem notdürftig eine Haut übergezogen worden war. Theo legte den Ordner zur Seite und las die Deckel der anderen. Die Namen kannte er alle: Menschinski, Jagoda, Jeschow, Berija, Merkulow, Abakumow. Es waren Dserschinskis Nachfolger, die Herren der Lubjanka. In den Akten fand er Totenscheine, Leichenbilder, Untersuchungsergebnisse.
    Er stapelte die Akten wieder und stellte sie zurück in den Schrank. Dann nahm er den mittleren Stapel. Auf dem oberen Aktendeckel stand J. Vacietis, auf den anderen S. M. Budjonny, M. W. Frunse, G. K. Schukow, I. C. Bagramjan, A. Gribkow und weitere Namen von Sowjetgenerälen.
    Er packte die Akten der Militärführer zurück und nahm den rechten Stapel. Es handelte sich um Dokumente zum Tod der Parteiführer und einiger sonstiger Spitzenfunktionäre. Theo überflog, was auf den

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