Das Moskau-Spiel
auf der Straße ein Typ offensichtlich einen Müllcontainer klauen wollte, der zum letzten bisschen Staatseigentum in Russland gehörte, das noch nicht an die Milliardäre verschleudert worden war. Die Leute klauten Kabel, um das Kupfer zu versetzen, und nun schien auch der Stahl der Müllcontainer zu locken.
Theo gelang es, die Angst ein kleines Stück zur Seite zu schieben. Er fand Verstrebungen und Griffe in der Containerwand, an denen er nach oben kletterte. Fast wäre er hinuntergefallen, als der Deckel zu wackeln anfing, doch Theo balancierte es aus, dann trat er auf denschmalen, aber stabilen Rand der Containeröffnung und sprang über den Zaun. Ein Ratschen verriet ihm, dass der Mantelsaum am Stacheldraht hängen geblieben war, während er hart auf einer gefrorenen Wiese landete. Er rollte sich geschickt ab. Dann eilte er in Richtung Rechtsmedizin, damit er von der Straße aus nicht mehr so leicht gesehen werden konnte. Er fand schnell das Fenster von Sonjas Büro im Keller. Er drückte sich mit dem Rücken an die Wand und inspizierte das Umfeld fast Zentimeter für Zentimeter. Nichts. Dann hob er das Schutzgitter des Lichtschachts hoch, kroch in den Schacht, schloss das Gitter wieder, kniete sich vors Fenster und schlug die Scheibe ein mit der durch einen Handschuh geschützten Faust. Es klirrte entsetzlich laut, doch Theo brauchte nur wenige Sekunden, um den Schreck zu verdauen. Wenn es jemand gehört hatte, würde er suchen, wo das Geräusch herkam. Aber bis einer da war, war Theo ins Büro abgetaucht. Er öffnete das zerstörte Fenster von innen und kletterte über den Schreibtisch in den Raum. Dann schloss er den Fensterrahmen, in dem scharfe Reste der Scheibe steckten. Er brach die auffälligsten ab, sodass es von außen scheinen mochte, dass das Fenster unzerstört und geschlossen war. Er zog die Vorhänge zu, aber er wusste, dass sie das Licht seiner Taschenlampe nicht völlig schlucken würden. Er legte sein Taschentuch doppelt gefaltet über das Taschenlampenglas und schaltete die Leuchte ganz kurz ein. Das Licht war stark gedämpft, aber es genügte.
Plötzlich schepperte es metallisch vom Flur her. Theo fuhr zusammen und verkroch sich unter dem Schreibtisch, wo er trotz seiner Angst spürte, dass er ein lächerliches Bild abgab.
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Die gestrenge Vorzimmerdame des Professors Smirnow zeigte sich von ihrer gnädigen Seite. »Der GenosseProfessor erwartet Sie bereits, Genosse Major.« Vielleicht lag doch ein kleiner Tadel in ihrer Stimme. Der Professor erschien ihm diesmal noch euliger. Eblow hängte seine Uniformjacke auf die Stuhllehne, legte sich auf die mit einem weißen Laken bezogene Liege und krempelte den Hemdsärmel hoch. Während der Professor ihm Blut abnahm, schaute er Eblow fragend an, indem er die Augenbrauen hob. Eblow nickte fast unmerklich und lächelte ein wenig verschmitzt. Ein strahlendes Lächeln zog über das Faltengesicht des Professors. Der Blutabnahme folgte die Blutdruckmessung, die der Arzt genauso routiniert erledigte.
»Man hat den Eindruck, die Werte werden immer besser«, sagte der Professor. »Offenbar haben Sie Ihren Lebenswandel verändert, und dies mit geradezu augenblicklichem Erfolg. Das erlebt man selten. Eigentlich nie, die Biologie nimmt sich ihre Zeit.« Er lächelte ein wenig abwesend. »Wenn Sie einverstanden sind, würde ich Ihre Blutwerte gerne weiter im Auge behalten. Das kostet wenig Zeit und bringt die Wissenschaft voran.«
Eblow ließ den Ärmel hinunter und zog seine Uniformjacke wieder an, dann setzte er sich auf den Besucherstuhl. »Gut, wann wäre es Ihnen recht?« Er holte einen Umschlag aus der Innentasche und schob ihn dem Professor zu. Der nahm ihn in die Hand, betrachtete ihn fast ungläubig von beiden Seiten, öffnete ihn vorsichtig und zog ein Papier heraus, das er andächtig entfaltete, las, bis er das Papier behutsam wieder zusammenfaltete, es in den Umschlag zurücksteckte und diesen in die obere Schreibtischschublade legte.
»In drei Tagen«, sagte der Professor, »zur gleichen Zeit.«
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Theo überwand sich und kroch unter dem Schreibtisch hervor. Wenn sie ihn schon fassten, dann nicht so. Er schlich zur Tür, drückte langsam die Klinke und danngegen die Tür. Sie war abgeschlossen. Das war ein Vorteil und ein Nachteil zugleich. Wer hereinwollte, musste erst aufschließen, das würde Theo Zeit verschaffen. Aber wenn Theo seine Untersuchung ausweiten wollte, musste er die Tür irgendwie aufknacken. Doch damit konnte er
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