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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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sich später beschäftigen. Er lauschte noch einmal an der Tür, hörte aber nichts. Vielleicht gibt’s hier Ratten, dachte er, und es ekelte ihn.
    Die Schubladen des Stahlschreibtischs waren abgeschlossen. Er hob die Schreibtischunterlage, fand aber keinen Schlüssel, genauso wenig in der Dose für Büroklammern und dem kleinen Ständer für Stifte und Kulis. Musste also das Taschenmesser helfen. Er setzte die große Klinge zwischen Schublade und Schubladenrahmen und drückte. Mit einem Knacken brach die Klinge ab und fiel klirrend auf den Steinboden. Er fand eine dickere und kürzere Klinge, den Büchsenöffner, und versuchte erst einmal damit die Schlosszunge zu ertasten. Er zog die Klinge mehrfach zwischen der Schublade und ihrem Rahmen hindurch, aber sie stieß nirgendwo an. Theo fluchte leise. Dann setzte er wütend die Klinge in den schmalen Spalt, zog sie in die linke Ecke und hebelte erneut. Offenbar lag der Schließmechanismus in der anderen Ecke, denn der Spalt weitete sich. Jeden Augenblick fürchtete Theo, dass auch diese Klinge brach, aber dann gelang es ihm, einen Schlüssel seines Schlüsselbunds in den Spalt zu stecken, und nun konnte er mit beiden drücken. Der Schließmechanismus gab millimeterweise nach, dann ein Knall, und die Schublade sprang auf.
    Das Erste, was er sah, war ein Schlüsselbund, er wusste gleich, er hatte ein ungeheures Glück. Sonja wollte den schweren Schlüsselbund offenbar nicht nach Hause tragen, sondern schloss ihn hier ein und musste dann nur noch die Schlüssel für den Schreibtisch und ihr Büro bei sich tragen. Theo steckte den Schlüsselbund in seine Jacketttasche und durchsuchte die aufgebrochene Schublade. Es waren Broschüren und Aktenmappen. In den Broschüren sah er im Funzellicht seiner gedämpften Lampe Beschreibungen und Illustrationen zu Obduktionstechniken. Die Mappen trugen Aktenzeichen und enthielten Falldokumente und Fotos. Es war, jeden falls in der Kürze, nichts Auffälliges zu entdecken. Theo legte das Material zurück in die Schublade und stocherte mit den Schlüsseln von Sonjas Schlüsselbund im Schloss der darunterliegenden Schublade herum, bis er den passenden gefunden hatte. Schminkzeug, Turgenjews Aufzeichnungen eines Jägers, ein Zeitungsausriss über das sowjetische Lagersystem, ein schwerer Schrauben dreher, ein Notizbuch mit leeren Seiten, ein paar Stifte.
    Auch die weiteren Schubladen offenbarten keine Geheimnisse, jedenfalls keine, die Theo interessierten. Im Regal an der Wand standen Bücher und Aktenordner, durch die er sich schnell durchblätterte. Hin und wieder hielt er inne, um zu lauschen, aber es war nichts zu hören. Wenn sie ihn auf frischer Tat erwischen wollten, hätten sie es längst tun können. Als er alles durchsucht und durchwühlt hatte, setzte er sich auf Sonjas Stuhl, legte die Beine auf die Tischplatte und überlegte. Nun war er im Gebäude, da musste er weitersuchen, diese Chance würde er nie wieder bekommen. Wenn er Glück hatte, fand sich am Bund ein Zweitschlüssel für die Bürotür. Wenn nicht, konnte er es mit dem Schraubendreher aus der Schreibtischschublade versuchen. Er steckte den Schraubendreher in die Manteltasche und probierte die Schlüssel an der Bürotür aus. Keiner passte, also setzte er den Schraubendreher direkt über dem Schloss zwischen Tür und Rahmen und drückte mit großer Kraft, bis die Tür aufknackte. Er blieb ein paar Sekunden still stehen, hörte nichts und beschloss, während er durch den nach Desinfektionsmitteln stinkenden Gang schlich, sein Glück gleich ganz oben zu versuchen. Wenn einer in einer solchen Institution etwas versteckte, dann der Chef. Aber den kannte Theo, undder hatte ihm geholfen. Es sei denn, das war Teil des Plans, ihn hereinzulegen, und Theo hatte das verwirrende Konstrukt doch noch nicht ganz entschlüsselt. Aber nein, Protossow hätte ihn gleich auflaufen lassen können. Warum solche Umstände? Warum sollte der Institutsdirektor ihn verstecken? Auf irgendetwas musste Theo sich verlassen können, und er entschied erneut, sich auf Protossow zu verlassen. Der hatte Angst, aber ein Schwein war er nicht. Davon abgesehen, hatte auch Theo Angst, und nicht zu wenig.
    Wenn es der Chef nicht war, der die Geheimnisse verbarg, dann sein Stellvertreter, wenn es einen gab. Jedenfalls wäre das beim BND so und bei allen anderen Behörden. Es sei denn, in diesem Fall hätte das FSB alles an sich genommen. Aber es bleibt doch meistens etwas übrig, dachte Theo, während er im

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