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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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früher hin und wieder etwas gespielt hatten. Mensch ärgere dich nicht oder Scrabble oder Dame, später auch Skat. Henri hatte ungern verloren, aber Theo hatte es überhaupt nicht ausgehalten, wollte so lange spielen, bis er gewonnen hatte. Auch später hatte er unter antrainierter Verbindlichkeit immer wieder seinen Ehrgeiz aufblitzen lassen, einen brennenden Ehrgeiz, der es ihm verbot zu versagen. Ob Klein das auch wusste?
    In der Nacht lag Henri wach. Er versuchte nicht einmal zu schlafen. Er überlegte, ob er sich weiter am PC mit der Schlacht von Waterloo abmühen sollte, in der er diesmal Napoleon zum Sieg verhelfen wollte, bevor es Nacht würde oder die Preußen kamen. Henri schloss die Augen, schon war sie wieder da, die finstere Zeit.
    Er fühlte sich mies. Aber hätte er dem Sohn gesagt, was er wusste, es hätte sie beide in Teufels Küche geführt. Wie hätte Theo es aufgenommen, wenn er ihm verraten hätte, dass Georg noch einmal bei ihm gewe sen war, bevor er wieder nach Moskau fuhr? Und das nicht ihrer alten Freundschaft wegen, wenn man die so nennen konnte, sondern weil der alte Mann immer noch über die beste Nase verfügte und auch über das beste Gedächtnis. Er hatte Henris Flucht miterlebt da mals, und er hatte sich seinen Reim gemacht auf die Umstände und die Gründe. Da war einiges zusammengekommen. Er war plötzlich aufgetaucht, ohne sich anzukündigen. Sie hatten sich fast ein Vierteljahrhundert nicht mehr gesehen gehabt, denn Georg besaß keine Freunde, die unter ungeklärten Umständen den Dienst verlassen hatten.
    Sie hatten im Wohnzimmer gesessen. Georg war fast versunken in dem großen Sessel. Seine Augen hatten ein wenig gestaunt, denn für seine Verhältnisse war hier alles unbezahlbar: die Lage, der Blick, die Umgebung, die Möbel, das Haus sowieso. Natürlich hatte er auch die Sicherheitsvorrichtungen erkannt. Und genauso natürlich warf das alles einige Fragen für ihn auf. Aber er stellte sie nicht, jedenfalls nicht direkt.
    Gerne nahm er einen Kaffee, und dann schien es fast so, als handle es sich um ein gemütliches Wiedersehen alter Freunde.
    »Es ist schön hier«, sagte Georg mit leiser Stimme.
    Er hat Haare verloren, das Gesicht ist grau und faltig, dachte Henri. Aber die Augen waren wach wie eh und je. »Ja.«
    »Ich gehe noch mal rüber.« Georg senkte seinen Blick auf die Kaffeetasse, dann trank er einen winzigen Schluck und behielt die Tasse in der Hand.
    »Warum tust du dir das an?«
    Ein erstaunter Blick. »Bevor ich abreise, würde ich gern erfahren, warum du damals wirklich fliehen musstest. Wir haben ja seitdem nicht mehr geredet.«
    Henri ersparte sich die Erwiderung, Georg hätte ihn anrufen können, nachdem er aus der Sowjetunion zurückgekehrt war. Es war Henri aber recht gewesen, dass der Kontakt abbrach.
    »Sie waren hinter mir her. Wie das so war. Warum willst du das wissen?«
    »Das fragst du?« Er setzte vorsichtig die Tasse ab und sinnierte vor sich hin. »Ich will wissen, auf was ich mich einlasse. Die Risiken ausloten. Wie man das so macht.«
    Henri winkte ab, vielleicht ein wenig zu heftig. »Das ist eine Ewigkeit her, und die Sowjetunion gibt es nicht mehr.«
    Scheffer sinnierte wieder, dann wiegte er seinen Kopf. »Ja und nein. Sie vergessen nichts, die Kollegen.«
    Henri schwieg und fixierte eine Amsel, die auf dem Balkongeländer saß.
    »Es ist wirklich schön hier«, sagte Scheffer. Dann seufzte er leise. »Unsere Freunde aus Langley haben sich nach deiner Flucht auch ziemlich aufgeregt. Es ging wohl um Geld.«
    Henri blies ein wenig Luft aus. »Kann sein.«
    Georg war jetzt unendlich geduldig. »Nun«, sagte er fast gemütlich, »in Pullach herrschte damals Chaos. Das haben sogar wir im Feld mitbekommen. Die haben einen geschickt, und der hat komische Fragen gestellt, du kennst das. Wenn es drunter und drüber geht, schicken sie einen. Wie jetzt auch wieder. Sie geben mir Theo mit.«
    Henri starrte ihn an.
    »Er bleibt nur fürs Aufräumen dort. Maximal acht Wochen. Er ist gut, sagt man. Kommt nach dir. Wir fliegen morgen Nachmittag.« Das klang so wie: Es ist jetzt der letzte Zeitpunkt, es mir zu sagen.
    Er erhob sich schwerfällig aus dem Sessel, trat ans große Fenster und starrte hinaus. Georg blieb eine Ewigkeit stehen.
    Dann wandte er sich Henri zu. »Inzwischen geht es nur noch ums Geld. Damals wussten wir noch … wofür und wogegen wir kämpften. Ich habe diesen Kampf geliebt, wirklich geliebt. Ich liebe ihn heute noch. Es ging um

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