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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Zehntausenden von Sprengköpfen warteten in ihren Silos darauf, aufzusteigen und die Welt in eine Wüste zu verwandeln. Wenn man länger darüber nachdachte, konnte man Angst bekommen. Gerade wenn man diese Sprüche aus dem Umfeld der neuen amerikanischen Regierung hörte. Den Atomkrieg gewinnen! Da hatte der superschlaue Kanzler Schmidt sich selbst in Teufels Küche befördert, was er natürlich nie zugeben würde. So einer machte keinen Fehler. Der hatte seine NATO – Freunde dazu gedrängt, diese Raketen aufzustellen. Und bald würden sie es tun, wenn nicht noch ein Wun der geschah. Jetzt rieben sich die Amis die Hände. Vielen Dank, Herr Schmidt, Sie haben es doch so gewollt. Ja, Sie haben vorhersehen können, dass Washington seine Strategie ändert, dass die Amis die Russen fertigmachen wollen. Totrüsten. Mindestens.
    Ein alter Mann, unheilbar krebskrank, hat vielleicht noch ein paar Monate, ist aber voll behängt mit Handgranaten und hat ein Sturmgewehr, und dem rückt man zu nah. Den piesackt man, den provoziert man, den drängt man in die Ecke. Dem sagt man, dass man ihn fertigmachen wird, so oder so. Was tut der Mann? Er wird sich doch sagen: Bitte, ihr habt es so gewollt. Und dann wird er umnieten, wer ihm vor die Flinte kommt. Die Sowjetunion war so ein alter Mann, unheilbar krank an sich selbst. Und gefährlich.
    Rachmanow mochte ein Kreml-Propagandist sein oder ein Abgesandter aus Jasenowo, wo die Auslandsaufklärung des KGB saß, oder von der Lubjanka, wo die Spionageabwehr untergebracht war, doch Henri war das egal. Seine Dienststelle galt manchen ebenfalls als anrüchig. Auch wenn die Attacke auf ihn offenkundig war – Versuchung und Ideologie, und das am selben Abend –, würde Henri sich dadurch nicht daran hindern lassen nachzudenken. Denen geht der Arsch auf Grundeis, und wenn ich in deren Lage wäre, ginge meiner auch auf Grundeis. Das war nicht mehr der ganz gewöhnliche Kalte Krieg, jetzt wurde es richtig gefährlich. Jetzt ging es erst richtig los.
    Henri lag im Dunkeln auf dem Bett. Er konnte nicht schlafen, wie oft nach Reisen. Aber diesmal lag es nichtam Reisen, sondern an dem Brief. Zu neunundneunzigkommaneunundneunzig Prozent war das eine Provokation. Sie wollten ihm mitteilen, dass sie wissen, was er in Wirklichkeit war. Oder sie wollten ihn gleich auf frischer Tat ertappen und nach Hause schicken, nachdem sie ihm zuvor die Arme ausgekugelt oder ihn verprügelt hatten. Versehentlich natürlich. Wir haben nicht gewusst, dass Sie ein westdeutscher Diplomat sind. Es tut uns sehr leid. Wir entschuldigen uns. Aber Sie tragen einen Teil der Verantwortung, Spionage ist in der Sowjetunion verboten. Da gibt es einschlägige Paragrafen in unserem Strafgesetzbuch. Bei Ihnen zu Hause ist das doch auch so. Oder irren wir uns da? Also Schwamm drüber, kommen Sie gut heim. Henri konnte sich die Szene gut vorstellen. Er wälzte sich im Bett, ihm wurde übel. Er fingerte nach dem Schalter der Nachttischlampe, fluchte und fand ihn endlich. Dann stand er auf und begann hin- und herzulaufen, wie er es tat, wenn ihn etwas beunruhigte. Er hatte ein blödes Gefühl.
    Er nahm den Zettel vom Tisch und starrte ihn an, als könnte er so herausfinden, ob es eine Falle war. Henri sollte sich eingewöhnen und von Gebold den Laden übernehmen und erst nach dessen Abgang mit der Arbeit anfangen. Den Pressefritzen spielen, Kontakte knüpfen. Wenn er zum Treffen im GUM ging, dann konnte er sich selbst auffliegen lassen. Kaum ein Tag in Moskau, schon nach Hause geschickt. Peinlich.
    Er nahm seinen Marsch wieder auf. Wenn er aber eine Chance verpasste, wenn ihm die Gelegenheit geboten würde, eine Operation einzuleiten? Das würde in seiner Personalakte nicht übel aussehen. Durfte er bürokratisch stur sein, den Vorschriften folgen, auch wenn sie einen Coup verhinderten?
    ICH ARBEITE IN EINER GEHEIMEN REGIERUNGS EINRICHTUNG UND WILL DIE UDSSR VERLASSEN .
    Wenn der Absender es ernst meinte, dann wollte er ein sorgenfreies Leben im goldenen Westen gegen Informationen eintauschen, von denen er glaubte, sie seien wertvoll. Solche Selbstanbieter gab es immer wieder, weshalb das KGB auch selbst welche schickte, um die feindlichen Dienste irrezuführen. Waren die Informationen richtig, war der Selbstanbieter ehrlich, oder sollte er dem Feind Material zuspielen, um ihn aufs Glatteis zu locken? Oft war das Spielmaterial echt, sodass man auf dem Schlauch stand und nur abwarten konnte, was noch inszeniert wurde. So versuchten

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