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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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die Freunde in der Lubjanka der Konkurrenz das Selbstanbietergeschäft zu vermiesen. Jeder Selbstanbieter konnte ein Provokateur sein. Und die manchmal riesigen Mengen angeblicher Geheiminformationen dienten allein der Überfütterung des Gegners.
    Henri wusste das alles. Und doch war die Versuchung enorm, sie wurde stärker, je länger er darüber nachdachte. Er las noch einmal, Wort für Wort.
    GEBEN SIE DIESE NACHRICHT DER ZUSTÄNDIGEN PERSON .
    Das sollte heißen, dass der Absender Henri ausgesucht hatte, weil er wusste, dass der in der bundesdeutschen Botschaft arbeitete. Woher konnte er das wissen? Henri war doch gerade erst gelandet. Möglich, dass der Betreffende am Abend erst erfahren hatte, wer Henri war oder sein sollte, und dass er den Brief dabeihatte, um die erstbeste Gelegenheit zu nutzen. Wenn stimmte, was in dem Brief stand, dann kannte der Absender Henris wirkliche Aufgabe nicht. Und eigentlich war Henri noch nicht zuständig, sondern Gebold. Ihm müsste er den Brief geben. Und Gebold würde den Brief in den Papierkorb werfen. Ein Provokateur, was sonst? Die Masche versuchen die Idioten immer wieder. Nicht mit mir. Schon gar nicht auf den letzten Drücker. Ich bin schon so gut wie im Urlaub.So ähnlich würde dieser Dummkopf reagieren. Er würde es vermasseln. Ein paar Stunden hatten genügt, um zu begreifen, dass Gebold ein Versager war. Er würde es Pullach melden müssen. Versager waren lebensgefährlich, vor allem im Außendienst.
    Er war stehen geblieben, während er den Brief wieder las, als könnte er darin eine Aussage entdecken, die ihm Gewissheit versprach. Er hatte das Gefühl, dass sich eine Chance eröffnete, die es ihm ersparen würde, nur in Moskau herumzulungern, wie Gebold es offenbar schätzte. Bloß nichts unternehmen, es könnte schiefgehen.
    Er legte den Brief auf den Tisch und stellte sich ans Fenster. Fahles Licht aus einer Wohnung des Nachbarhauses auf den gefrorenen Schneematsch. Drei Autos, mit Planen bedeckt. Eine elektrische Leitung spannte von dem Haus hinüber zu dem, in dem seine Wohnung lag. Das Kabel war von Eis umhüllt, am tiefsten Punkt ragten kleine Eiszapfen in die Tiefe. Erstaunlicherweise war es nicht gerissen. Irgendwo in dem Block gegenüber war wahrscheinlich eine Lauschstation des KGB untergebracht. Die hatten bestimmt eine Wohnung belegt, wo sie mit Kameras und vielleicht sogar Richtmikrofonen beobachteten und mithörten. Neben der Botschaft gab es so eine Station mit Sicherheit. Vermutlich waren die Wände der Wohnungen verwanzt.
    Es musste einen Grund haben, dass der Dienst seit Jahren nichts mehr auf die Beine gestellt hatte in Moskau. Und der Grund hieß Gebold. Oder er war ein Grund von mehreren. Gebold war feige, das war klar. Henri redete sich immer weiter ein, dass er die Sache mit dem anonymen Brief selbst in die Hand nehmen müsse.
    Und die Attacken an diesem Abend? Irina, die schöne Irina, deren Bruder im Straflager verrottete. Vielleicht war es so. Vielleicht aber war es ein Märchen. Henri wollte, dass es ein Märchen war. Henri hatte ihr aufmerksam zugehört, er war ein guter Zuhörer, und nicht versucht, Eigenes hineinzumengen, gleich zu interpretieren. An der Geschichte selbst schien nichts krumm zu sein. Es passte alles, fast schon zu gut. Er konnte kein einziges Detail dieser Geschichte überprüfen. Aber es stand fest, dass sich in Moskau keine Frau derart heftig an ihn heranmachen würde, ohne geschickt worden zu sein. Vielleicht hatte sie gar keinen Bruder, sondern wurde in Devisen bezahlt, damit sie in den Läden für Ausländer einkaufen konnte. Eine Nutte, deren Zuhäl ter KGB hieß.
    Rachmanow. Der musste keiner von der Firma sein. Ein überzeugter Kommunist redete so. Davon abgesehen, redete er nicht nur Unsinn. Henri wusste, ihn würde dieser Mann noch beschäftigen. Irgendwie war er überzeugend, obwohl er ein System vertrat, in dem es Arbeitslager gab. Oder fiel er nur auf einen geschickten Propagandisten herein? Nicht auszuschließen. Aber Henri war ein Mann, der erst nachdachte und dann entschied. Der sich mühte, die Dinge von allen Seiten zu betrachten. Der sich dazu die Zeit ließ und versuchte, seine Vorurteile zu erkennen und zu ignorieren. Vielen galt Henri als kühl, manchen gar als eiskalt. Aber Henri war nicht kalt, er hielt Selbstbeherrschung für seine beste Eigenschaft. In ihm kämpfte die Selbstbeherrschung stets mit dem Selbstzweifel. Ob es richtig war, was er tat. Ob dieser verdammte Brief nur eine Falle war,

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