Das Moskau-Spiel
beeilen«, zischte der Mann. Er schob Henri ein Papierkonvolut zu, und Henri ließ es in seiner Manteltasche verschwinden. Dann erhob sich der Mann und verschwand eiligen Schritts. Die Menge schluckte ihn, als hätte es ihn nicht gegeben.
Henri nippte an seinem Wodka. Nicht ungeduldig werden. Bleib sitzen. Du verschnaufst bei einem Kaufhausbesuch. Nichts ist normaler. Das Gedränge strengt an. Bleib sitzen. Am liebsten wäre er aufgesprungen, in sein Büro gefahren und hätte geschaut, was der Mann ihm gegeben hatte. Bleib sitzen. Nicht auffallen, jedenfalls nicht stärker, als du Idiot es ohnehin schon tust. Tarnung, hatte der Vater gesagt, Tarnung ist die halbe Miete.
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VI.
Theo hatte nie wirklich Glück gehabt bei den Frauen. Für ihn waren sie unbekannte Wesen geblieben, fast bedrohlich, sie zogen ihn an und machten ihm doch Angst. Sie rochen gefährlich, und er wusste nie, was sie wirklich von ihm wollten. Er hatte erst im Studium eine Freundin gehabt, aber geliebt hatte er sie nicht, genauso wenig, wie er Schmerz verspürt hatte, als sie ihn verließ. Immerhin hatte sie ihn in die körperliche Liebe eingeführt, doch er ahnte, dass er für sie nicht gerade die Erfüllung gewesen war. Manchmal, wenn er mies drauf war, dachte er, sie sei aus Mitleid mit ihm zusammen. Er erinnerte sich, sie hatte krauses Haar, war eher klein und fast dürr.
»Woran denken Sie?«, fragte sie. Ihre Hand schob das Wasserglas hin und her, Zentimeter um Zentimeter, als wäre sie in etwas versunken.
»Darf ich Sie Sonja nennen?« Theo erschrak über sich selbst. Eilig trank er einen Schluck.
Sie lächelte, schaute ihm in die Augen und sagte: »Sie sind das Trinken nicht gewöhnt.«
Woran merkte sie es? Hatte sie erkannt, wie sehr der Alkohol ihn bannte?
»Ich habe mal getrunken, dann aber nicht mehr.« Es klang verdruckst. Sie schüchterte ihn ein, der Wodka raubte ihm die Konzentration. Je länger der Abend, desto schöner war Sonja.
»Nennen Sie mich Sonja. Sie heißen Theo, oder?«
Warum verwirrte ihn diese Frage?
Er nickte. Seine Hand wanderte vorsichtig über den Tisch zu ihrer. Er streichelte ihre Fingerspitzen, griff dann vorsichtig nach der ganzen Hand. Sie zog ihre Hand zurück, langsam, aber bestimmt. Währenddessen schaute sie fast demonstrativ an ihm vorbei.
Wladimir erschien mit der Flasche, aber sie winkte ab. Sie sagte etwas.
»Ich habe uns Kaffee bestellt. Der schmeckt zwar furchtbar hier, aber er hilft.«
Er verstand, was sie meinte. Er hätte gerne weitergetrunken. Immer weiter, bis er sich verloren hätte. Und sie hätte ihn mit zu sich nach Hause genommen. Er träumte schon fast. Du bist ein toller Ermittler. Das dachte er, dann überfiel ihn die Müdigkeit. Er zwang sich, wach zu bleiben. Was man erreichen will, das erreicht man auch. Man muss es nur wollen. Wer hatte es gesagt? Der Vater, der Großvater?
Wladimir erschien mit zwei Tassen Kaffee und einer Dose Kondensmilch.
»Ich möchte einen Espresso«, sagte Theo. Er versuchte, nicht zu stammeln. Du Idiot, betrinkst dich, wo du doch weißt, dass du es nicht verträgst. Du betrinkst dich vor einer schönen Frau, die du begehrst. Das wird nichts mehr, Dummkopf. Nie mehr trinken. Immerhin hatte er sich noch nicht ganz zugeschüttet.
»Trinken Sie, Theo.«
Theo nahm die Tasse und trank. Er verbrannte sich die Lippen. Das Zeug war heiß und schmeckte wie verbrannt. Er erinnerte sich, früher hatte Kaffee so geschmeckt, der zu lange auf der Warmhalteplatte der Kaffeemaschine gestanden hatte. Widerlich. Er musste würgen. Sonja nahm die Kondensmilch und füllte seine Tasse damit fast bis zum Rand auf. »Damit geht es.«
Er trank erst einen Schluck Wasser, dann nahm er die Tasse. Diesmal schmeckte das Gebräu süßlich, klebrig.
»Ich hätte nicht so viel Wodka bestellen sollen.«
»Sie konnten ja nicht wissen, dass ich nichts mehrvertrage.« Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, kratzte sich am Ohr und sagte: »Die schicken einen her, der nichts verträgt.«
Sie lächelte, wurde aber gleich wieder ernst. »Ich bestelle Ihnen ein Taxi zur Botschaft.«
Sie stand auf und wollte zum Tresen. Aber als sie an ihm vorbeiging, hielt er sie am Arm. »Ich möchte zu dir.«
Sie legte seine Hand auf den Tisch, drückte sie ein paar Sekunden, lächelte ihn an und ging weiter.
Wladimir hatte ein Taxi gerufen. Als der Fahrer hereinkam, winkte Wlad Sonja zu und zeigte auf den Mann, einen Riesen mit einer roten Lockenmähne und bleichem Gesicht. Sonja
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