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Das Moskau-Spiel

Das Moskau-Spiel

Titel: Das Moskau-Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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waren vergangen. Er schaute hinaus, verließ die Einfahrt und ging zügig los, ungefähr parallel zu der Straße, auf der er mit dem Auto gekommen war. Diese musste hinter den Häuserblocks mit dem rotbraunen Putz verlaufen, war aber aus der gekrümmten Nebenstraße nicht einsehbar. Henri marschierte, so schnell er konnte, aber er rannte nicht. Wenn er eine kleinere Nebenstraße entdeckte, nahm er die. An der Sonne orientierte er sich so weit, dass er nicht im Kreis lief. Er stieß auf einen Friedhof und betrat ihn. Schwere Tropfen an Kiefern, Grabsteine mit den Abbildungen der Verstorbenen, bald erreichte er eine weiße Marmorwand, glänzend von der Nässe, übersät mit Bildern und Schrifttafeln. Immer weiter, immer weiter. Er schnaufte, wischte sich das Wasser-Schweiß-Gemisch von der Stirn und blieb abrupt stehen, als er am rückwärtigen Ausgang des Friedhofs ein Stra ßenschild entdeckte. Skotoprogonnaja ul. stand darauf. Er öffnete den Mantel, merkte jetzt, dass er am ganzen Körper schwitzte, zog den Stadtplan aus der Innentasche und begann zu suchen. Bald hatte er den Friedhof und die Straße entdeckt und fand auch gleich die nächstgele gene Metrostation Proletarskaja. Ein Blick nach oben zeigte ihm, dass die Wolkenwand sich über Moskau zu türmen begann, um ihre Last über der Stadt niedergehen zu lassen. Ich habe mir die richtige Jahreszeit ausgesucht zum Spionieren. Henri musste grinsen. Er studierte den Weg, den er gehen wollte, genau, steckte den Plan wieder in die Tasche und lief los. Er steuerte die Metrostation nicht direkt an, sondern schlug Haken wie ein Hase. Manchmal blieb er stehen, schaute sich um, nahm immer wieder den Stadtplan, vergewisserte sich an Straßenschildern, wo er war, und tat doch alles nur, um auszuschließen, dass sie ihn gefunden hatten. Aber es war nichts Verdächtiges zu sehen. Nur wenige Leute auf den Straßen, der nächste Guss würde folgen, die Moskauer kannten sich da aus.
    Henri fühlte sich leichter, als er begriff, dass es menschenunmöglich gewesen wäre, ihm auf der Spur zu bleiben. Ja, sogar KGB – unmöglich, weil das Wetter mitgespielt hatte. Das Wetter als Hauptverbündeter des Imperialismus. Henri lachte leise vor sich hin. Er hatte sie überrascht, als er aus dem Auto gestiegen und in die Sturzflut gehetzt war, ohne den Wagen abzuschließen. Dann war er unsichtbar geworden für sie. Niemand würde ihm anlasten können, gerannt zu sein bei diesem Wetter. Sie hatten es bestimmt zu spät begriffen, und er hatte sie schon vor der Gaststätte abgehängt gehabt, die er durch den Hintereingang verließ.
    In einer Seitenstraße, als ihn niemand beobachtete, drehte er den Mantel um und trug die nasse Seite innen. Eklig, kalt, aber nun trug er einen schwarzen Mantel. Henri näherte sich der Metrostation. Er strich sich die nassen Haare glatt – beim nächsten Mal würde er einen Kamm einstecken – und passte sich dem Eilschritt der Moskauer an, die die Schwingtüren zur U-Bahn aufstießen und nicht warteten, wann der nächste Passant kam. Henri fuhr die Rolltreppe hinunter in eine Halle mit weiß gekachelten Wänden, der Name der Station mit gelben Kacheln hinterlegt, kantige Marmorsäulen, der Charmeder anbrechenden Sechzigerjahre, Sachlichkeit anstelle von Stalins Kitsch. Er schaute sich um, wie es ein Tourist tat, betrachtete die Lampen zwischen den beiden Rolltreppen, schaute einer hübschen Frau nach, deren brünettes Haar unter einer Strickmütze hervorquoll, beobachtete die Wärterin mit dem Uniformschiffchen in ihrem verglasten Wärterhäuschen mit dem Telefon am Fuß der Rolltreppe.
    Er fuhr kreuz und quer mit der Metro, tat so, als würde er aussteigen, blieb aber drin, stieg dann doch aus, und tat so, als würde er es sich in letzter Sekunde anders überlegt haben. Er fuhr zur Metrostation Revolutionsplatz, lief die Nikolskaja bis zum Roten Platz, drehte dann aber ab, spielte wieder den verwirrten Touristen, starrte ab und zu auf seinen Stadtplan und stieg nach einigen Minuten in die Tiefen der Ochotny Rjad hinab, um auf Schachbrettmarmor unter prächtigen Leuchtern auf den Zug zu warten, der ihn auf eine weitere Odyssee durch Moskaus Untergrund mitnahm, diesmal auf der legendären Roten Linie, erbaut in den Jahren des Terrors.
    Erst als er restlos überzeugt war, dass niemand ihm hatte folgen können, kehrte er zurück zum Roten Platz. Als Erstes erwischte ihn eine eiskalte Bö, welche die Wärme der überheizten Metro, die ihm noch am Körper haftete,

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