Das Mozart-Mysterium
Der Mann wurde durch seinen Schwung an mir vorbei geworfen und musste sich drehen, um mir wieder gegenüber zu stehen.
Während der kurzen Zeit seines Vorbeirauschens hatte ich bereits erneut den Degen auf ihn gerichtet und hieb nun seitlich nach ihm, mit der Degenspitze eine feine rote Linie in sein Gesicht zeichnend. Verwirrt durch meinen Überraschungsangriff verharrte er, schrie aber wütend auf, als er sich an die Wange fasste und das Blut sah.
Mit enormer Wucht sprang er auf mich zu, Degen voran, strauchelte jedoch über eine lose Fußbodendiele und fiel. Ehe ich mich versah, kippte der Mann mir bäuchlings entgegen. Ich wehrte ihn instinktiv mit meinem Degen ab, sodass der Einäugige geradewegs in meine Waffe stürzte. Entsetzt sprang ich zurück.
Der Mann schlug mit dem Geräusch eines dumpfen Klatschens auf dem Boden auf; aus seinem Rücken ragte die blutige Spitze meines Degens. Durch die Menge ging ein Aufschrei. Mozart, der die Situation als Erster erfasste, erkannte die Gefahr: Wir konnten nun an die Stadtwachen ausgeliefert werden.
Er zog mich, der ich unfähig war, einen klaren Gedanken zu fassen, ins Freie. Die Menge schien durch die Ereignisse noch verunsichert und gelähmt, jedenfalls verfolgte uns keiner. Wir rannten so schnell wir nur konnten. Mozart rief mir zu, wir sollten bergab und entlang der Salzach laufen, um nicht den anderen Verfolgern zu begegnen, die vielleicht noch unterwegs waren.
Wir gelangten rasch an die Uferpromenade. Sie war dicht mit Büschen und kleinen Bäumen bepflanzt, die uns Deckung gaben. Auf diesem Wege würden wir in die Nähe von Mozarts Wohnung gelangen, da die Getreidegasse unweit der Salzach verlief, etwas weiter westlich von unserem Standort.
Die Dunkelheit half uns, unbemerkt voranzukommen, obwohl ich immer wieder dachte, dass sich hinter manchen Schatten Personen verbargen. Es kreuzte aber keine Menschenseele mehr unseren Weg, bis wir in der Getreidegasse ankamen. Es mochte wohl bereits 10 Uhr abends gewesen sein. Vorsichtig schauten wir aus einer Nische am Anfang der Gasse, ob vor der Wohnung Mozarts jemand lauerte.
Nachdem wir einige Zeit den Hauseingang beobachtet hatten, fühlten wir uns sicher und traten ein.
Therese hatte sich um uns gesorgt. Wie sie erfuhr, nicht ohne Grund. In bedrückter Stimmung nahmen wir das abendliche Mahl zu uns und gingen zu Bett.
30. Oktober
Am Morgen hatte ich heftiges Muskelreißen, was mehrere Ursachen haben konnte, denn Therese hatte sich letzte Nacht noch zu mir gesellt.
Am Frühstückstisch berieten wir zu dritt, wie wir heute vorgehen würden.
Völlig unerwartet erschien jedoch der Geheimrat in der Tür. Wolfenstein trat unaufgefordert ein und setzte sich in einen Lehnsessel. Beschwingt und wie immer in bester Laune brach er die betretene Stille: »Also dann, wann brechen wir auf?«
Mozart bellte ihm entgegen: »Wenn wir satt sind.«
Der Appetit war uns jedoch vergangen, sodass sich nun jeder zurückzog und zum Aufbruch richtete.
Die Kutsche des Geheimrats war ausreichend geräumig für uns drei. Therese blieb zurück, denn es musste allerhand wegen der ausgebrannten Wohnung geregelt werden.
Wolfenstein, der ja mit dem Erzbischof persönlich bekannt war, führte unsere Gruppe an, als wir an der Residenz nahe des Domes angelangt waren. Der weit ausladend angelegte Bau des städtischen Bischofssitzes war außen sehr schlicht gestaltet. Das Hauptgebäude maß vier Stockwerke, die Nebengebäude nur drei. Als wir anklopften, trat eine Wache vor und hieß uns zu warten. Nach wenigen Minuten führte uns die Wache durch das lang gestreckte Tor ins Innere des Hofes. Ein Diener trat aus einer verborgenen Tür hervor, er hatte uns offensichtlich erwartet, und führte uns sogleich in eine große Halle, die durch breite Marmorsäulen getragen wurde und an den Wänden und der Decke über und über mit Stuckverzierungen und opulenten Gemälden geschmückt war, ganz im Gegensatz zur Außenansicht des Gebäudes.
Der Diener verschwand wieder und es vergingen weitere Minuten, ehe schließlich ein alter, großer Mann am anderen Ende des Saales durch eine Tür hereinkam. Er ging uns langsam entgegen, mit unsicheren Schritten und leicht vorgebeugt. Er trug keine Perücke, seine hellen, glatten Haare hatten noch einen leichten Einschlag ins strohfarbene, waren aber fast weiß, er trug sie fast schulterlang. Das Gesicht des Mannes war zart, mit fast mädchenhafter Milde im Ausdruck. Seine etwas verwaschene Uniform war
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