Das Mozart-Mysterium
zunehmend in Erregung und spielte immer lauter und schneller. Es verwunderte mich sehr, dass der Bischof dieses Musizieren erlaubte, aber sicher befand er sich heute nicht hier, sondern auf der Festung.
Wir suchten und suchten und so verging die Zeit. Nach gut anderthalb Stunden hatten wir immer noch nichts gefunden. Der Bibliothekar hatte schließlich geendigt und stand auf. Ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen, verließ er den Saal durch die Tür auf der anderen Seite.
Wir setzten erleichtert unsere Suche fort. Eine weitere Stunde verging.
Mozart stöhnte verzweifelt auf: »Ach Herrje! Es hat keinen Sinn. Wir werden Tage hier zubringen. Dabei muss ich spätestens morgen früh nach Leipzig abreisen, wenn ich rechtzeitig bei Mizler sein will.«
Erschöpft stieg er von seiner Leiter herab und ließ sich in einen der herumstehenden Sessel fallen. Ich war selbst müde und mein verletzter Arm schmerzte vom ständigen Ausstrecken, aber ich gab nicht auf. Auch der Geheimrat suchte geschäftig weiter.
Ich ließ meinem Unmut freien Lauf: »Maestro, wie haben Sie nur das grässliche Flügelspiel des Mannes ausgehalten. Ständig die gleiche Melodie! Das ist sicher die längste Variationenfolge, die jemals erfunden wurde.«
»Oh ja, und über ein solch simples Thema. Ich glaube es zu kennen, es muss von einem Komponisten namens Graun sein, irgend so eine primitive Oper, die vor Jahrzehnten in Mode war.« Mozart stutzte. Plötzlich sprang er wie von einer Tarantel gestochen aus dem Sessel. »Ich Esel!«, schalt er sich selbst. Er rannte zum Regal, schaute rasch über die Buchrücken, ging dann weiter nach links, nahm sich die Leiter und stieg hinauf. Nach Kurzem schon entfuhr ihm ein »Heureka!«
Mozart hielt ein dickes, querformatiges Notenheft in der Hand. Nur rasch blickte er hinein und stieg dann mit seinem Fund herab.
Wir liefen zu ihm hin.
Er schlug das Heft auf. Stammelnd vor Freude sagte er: »Ich … ich habe vor Jahren einen Aufsatz gelesen, der von Carl Heinrich Graun verfasst worden ist, also genau von dem Komponisten der Oper, aus der das Thema von Redlohs Improvisation stammte. Der Aufsatz erschien allerdings in Mizlers Zeitschrift, in der nur Mitglieder der Societät veröffentlichen dürfen! Graun muss also ebenfalls dieser Gesellschaft angehört haben, ehe er noch in jungen Jahren starb. Es fiel mir gerade siedend heiß ein, dass die Melodie ein Hinweis auf das Werk sein könnte, das wir suchen, denn er hat sie schließlich eine geschlagene Stunde lang wiederholt.«
Ich las den Titel des gedruckten Notenheftes:
› Carl Heinrich Graun.
Fetonte.
Tragedia per musica ‹.«
Mozart blätterte rasch durch das Notenheft. Ganz hinten, auf der Rückseite des letzten Notenblattes, stand handgeschrieben:
› Eine ideale Melodie steht in einem einzigen Gefühlsausdruck ‹.
Das war es, das nächste Gesetz! Erneut einleuchtend formuliert, als kleiner Mosaikbaustein einer einprägsamen, schlichten Melodie, die den Hörenden im Gedächtnis bleiben würde.
Als Mozart vorlas, fiel ein loses Blatt heraus und landete auf dem Boden. Ich hob es auf. Es war ein feines, sehr altes Pergament, das in winziger Schrift beschrieben war. Es handelte sich offensichtlich um ein Gedicht, in italienischer Sprache verfasst:
›Canto XIV
Cerbero, fiera crudele e diversa,/
Con tre gole caninamente latra/
Sopra la gente, che quivi è sommersa./
Gli occhi ha vermigli, e la barba unta e atra,/
E ’l ventre largo e unghiate le mani;/
Graffia gli spirti, gli scuoja, ed isquatra./
Urlar gli fa la pioggia come cani;/
Dell’ un de’ lati fanno all’ altro schermo,/
Volgonsi spesso I miseri profani./
Quando ci scorse Cerbero il gran vermo,/
Le bocche aperse, e mostrocci le sanne;/
Non avea membro, che tenesse fermo ‹.
Darunter stand in abweichender Handschrift:
› Lipsia te salutat ‹.
Mozart wandte sich dem großen Bücherregal zu und ergriff, ohne zu zögern, ein edles, in Leder gebundenes Werk, das neueren Datums schien. »Hier ist die deutsche Übersetzung. Das Gedicht stammt aus Dantes ›Göttlicher Komödie‹. Lassen Sie mich schauen.«
Er blätterte und begann dann vorzulesen:
»›Der Cerberus, wild, seltsam von Geberde,/
Bellt aus drei Hundeskehlen hier mit Wuth/
Auf die in Flut begrabne Sünderherde./
Feucht, schwarz der Bart, die Augen rothe Glut,/
Den Bauch gestreckt und Krallen an den Händen,/
Zerkratzt, zerzaust, viertheilt er jene Brut./
Sie
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