Das München-Komplott
der Welt? In den vergangenen rund 30 Jahren?«
»Du arbeitest immer noch an der Oktoberfest-Sache?«
»Ja.«
»Nun, ich muss nachdenken. Doch, da gab es noch dieses furchtbare Attentat auf den Bahnhof von Bologna …«
»Stimmt. Ich erinnere mich …«
»Noch mehr Tote, damals. Sollen auch die Neonazis gewesen sein, wenn ich es richtig weiß, diesmal die italienischeSorte. Es sollte so aussehen, als seien es die Linken gewesen. Das flog aber irgendwie auf.«
»Haben sie auch einen Feuerlöscher verwendet, in dem die Bombe steckte?«
Leopold Harder lachte.
»Georg, so gut erinnere mich nun auch wieder nicht. Aber frag doch Mario. Unseren Halbitaliener.«
»Nur weil er Italiener ist, muss er das doch nicht wissen.«
»Versuch es. Wenn du willst, mach ich morgen eine Archivrecherche.«
»Das wäre prima. Danke.«
Dengler wählte Marios Nummer. Tatsächlich war er zu Hause und kochte einmal nicht für irgendwelche Gäste.
Er fiel mit der Tür ins Haus: »Mario, sagt dir das Attentat auf den Bahnhof von Bologna etwas?«
»Machst du Witze? Das vergisst kein Italiener.«
»Du bist kein Italiener, Mario.«
»Ich bin kein Italiener? Warum sagst du mir so etwas? Weißt du nicht, wie ich aussehe, meine schwarzen Haare, mein Temperament, meine Liebe für die Frauen, oh …«
»Mario, wir sind beide als Halbwaisen in Altglashütten aufgewachsen. Das liegt nicht in den Abruzzen, sondern im Schwarzwald. Schon vergessen?«
»Nein, natürlich nicht. Ein bisschen Show muss sein. Aber das mit dem Attentat weiß ich trotzdem. Neonazis. Ein fürchterlicher Anschlag.«
»Kannst du mir etwas darüber erzählen?«
»Sicher. Komm doch vorbei. Ich mache Pasta, und ich wollte eh einen neuen Drink ausprobieren.«
»O. k. Ich bring Martin mit, ja?«
»Unseren unglücklich Verliebten! Bring ihn mit. Der neue Drink hat heilende Kräfte.«
Überwachung
Gisela Kleine war nicht ohne Grund in dem männerdominierten Geheimdienst so schnell nach oben gestiegen. Ihr Verdienst war, dass sie die Observationstechnik des Verfassungsschutzes vollständig revolutioniert hatte. Eigentlich hatte sie Arabistik und Politik in Berlin und Kairo studiert, ein brotloses Studium, aber immerhin sprach sie Arabisch, kannte sich im Nahen Osten aus und träumte von einer Zukunft im diplomatischen Dienst. Stattdessen stieß sie in der Zeit , als sie eine Stelle suchte, auf eine Ausschreibung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, bewarb sich und wurde eben wegen ihrer Kenntnisse genommen.
Doch schon bald merkte sie, dass sie die Lektüre und das Übersetzen von arabischen Schriften, Websites, Fernseh- und Radiosendungen langweilten. Sie bewarb sich intern in die Abteilung für Observation – und dachte, sie sei in der Steinzeit angekommen.
Es waren die ewig rauchenden, Lederjacken tragenden, Audi fahrenden Kollegen, denen man den Schnüffler schon auf 100 Meter ansah. Typen, die gewohnt waren, dass sie stundenlang in einem Auto auf eine Haustüre starrten und nebenbei Pornohefte lasen, die sie untereinander weitergaben. Typen mit Kreuzschmerzen und dicken Frauen, die fremdgingen, sooft sich die Gelegenheit ergab, und zu viel tranken. Ihr war, als sei sie nur von Klischee-Geheimdienstleuten umgeben.
Sie kündigte nach zwei Monaten und wurde zu ihrer Überraschung zum Präsidenten gerufen.
Sie wolle ihr Leben nicht mit lauter unprofessionellen Idioten verbringen, sagte sie zu ihm.
Ob sie sich vorstellen könne, an einem Konzept mitzuarbeiten, bei dem es darum ging, diese Abteilung auf den neuesten Stand zu bringen und mit den neuesten Techniken auszustatten?
Mit diesen Leuten?
Nicht unbedingt, sagte der Präsident. Sie bat um Bedenkzeit, dann willigte sie ein.
Sie setzte auf ausgebildete Laien. Sie warb Leute an, die nichts mit dem Verfassungsschutz zu tun hatten, Hausfrauen, Rentner, Studenten. Oft wussten diese Personen noch nicht einmal, dass ihr Auftraggeber der Verfassungsschutz war, denn sie gründete scheinbare Privatagenturen, die sie zwischen den Dienst und die Überwacher schaltete.
Nach einem Jahr lief eine Observation anders ab. Wenn der Verfassungsschutz jetzt ein Haus überwachte, dann schob am Morgen eine junge Mutter ihren Kinderwagen vor der Tür auf und ab, danach ging ein Lehrer auf dem Weg zur Schule daran vorbei, später eine Rentnerin mit Einkaufskorb. Es waren völlig normale Leute, die die Aufgaben der Lederjackenburschen übernommen hatten.
Die meisten von ihnen wussten nicht einmal, dass sie für den
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