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Das München-Komplott

Das München-Komplott

Titel: Das München-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Tauben.
    Dann saß er endlich in Harry’s Bar an der Theke und atmete auf.
    Hier war es wie immer. Wie beruhigend! Die tiefe Decke gab ihm das Gefühl, in einer Schiffsmesse zu sitzen. Die nach hinten versetzten quadratischen Fenster gaben den Blick aufs Wasser frei. Die Standuhr aus altem Holz mit dem elfenbeinernen Rand, den römischen Ziffern und den Zeigern aus Metall stand unverrückbar an ihrem Platz hinter der Bar.
    Arrigo kam vorbei und begrüßte ihn. Hinter der Theke stand der Barkeeper, der hier war, seit er denken konnte. Er sah aus wie die Wiedergeburt von Lino Ventura, die gleiche untersetzte Figur, die gleichen schweren Augenlider. Sie redeten nicht viel, obwohl er schon seit Jahrzehnten Gast in Harry’s Bar war. Lino Ventura redete ihn grundsätzlich auf Französisch mit »Mon Général« an. Wahrscheinlich hatte er ihn einmal im Fernsehen gesehen oder in einer Zeitung. Er fragte ihn immer, was er trinken wollte, obwohl er immer das Gleiche bestellte. Erst einen Bellini aus Respekt vor dem Hausgetränk der Bar und dann zwei Gin Tonic aus Respekt vor seinem eigenen Durst und Geschmack.
    Mittlerweile betrug seine Rechnung sechzig Euro pro Abend. Für sechzig Euro konnte er in einem Lokal in Sant’Elena mit seiner Frau essen und eine Flasche Rotwein dazu trinken.
    Egal.
    Der Besuch in Harry’s Bar entschädigte ihn für die Zeiten, die er nicht mehr verstand, für den Untergang, den er überall sah und den er nicht mehr aufhalten konnte.
    Er durfte nicht darüber nachdenken.
    Um elf hatte er den zweiten Gin Tonic geleert und seinen Alkoholpegel erreicht. Außerdem schloss die Bar. Die Vordertür war schon abgeschlossen, und er würde wie gewöhnlich um diese Zeit durch die Nebentüre hinausgehen. Er zahlte.
    Grazie, mon Général, sagte Lino Ventura.
    Auf der Piazza San Marco spielten die Kapellen vor dengroßen Cafés um die Wette. Keine Tauben zu sehen, aber immer noch Touristen, die vor den Balkonen standen, auf denen die Musiker Kitschmelodien geigten.
    Er nahm die Überquerung an der Seufzerbrücke zu der Anlegestelle der Linie zwei. Das Vaporetto legte kurz danach an. Es stieg nur noch eine schwedische Familie mit ins Boot, die es bei Arsenale bereits wieder verließ. Er ging in das Heck des Schiffs und betrachtete seine Stadt. Wie schön sie noch immer war! Sie würde die Russen und die Chinesen überleben. Da war er sich sicher, und dieser Gedanke ermutigte ihn plötzlich.
    Es war nicht alles umsonst gewesen.
    Ein Schatten stand plötzlich neben ihm und nannte seinen Namen. Ein Deutscher.
    Er hörte es an dem schnalzenden z in seinem Namen: Calzzzori.
    Er hörte es an dem rollenden r: Calzzzorrrri.
    Als er überrascht aufblickte, zog der Mann eine Waffe und schoss ihm in den Kopf.
    Er war bereits tot, als er rückwärts gegen das Geländer des Bootes stieß.
    Der Unbekannte nahm ihn an den Füßen und warf ihn in die Lagune.

Das Richtige zur richtigen Zeit
    Jan wollte sie mit ins Fichte-Studentenheim in der Herrenberger Straße nehmen, aber das, fand Charlotte, ging dann doch zu weit. Sie mietete ein Doppelzimmer in einem kleinen Hotel unten am Neckar. Dort blieben sie und liebten sich bis zum frühen Morgen.
    Jan tat immer genau das Richtige zur richtigen Zeit, so als würde er ihre Wünsche ahnen, bevor sie sich selbst darüber im Klaren war. Aber was war schon klar in einer Nacht wie dieser? Er war manchmal rücksichtsvoll, manchmal fordernd. Ihre Welt schrumpfte auf die Größe des Bettes zusammen, und außerhalb des Leintuches begann die Unendlichkeit.
    »Jetzt musste ich so alt werden, um so zu – ficken«, sagte sie leise und eigentlich mehr zu sich selbst.
    Jan lachte.
    »Redet man so in Adelskreisen?«
    »Nein«, sagte sie. »Das ist eigentlich nicht meine Wortwahl, wirklich nicht. Aber so fühle ich mich gerade.«
    »Es ist das schönste Kompliment, das mir je eine Frau gemacht hat.«
    »Wirklich?«
    »Mmmh.«
    Sie stand auf und ging an die Minibar. Sie kam mit einer kleinen Flasche Sekt und zwei Gläsern zurück.
    »Wir müssen auf meine Großmutter trinken.«
    »Auf deine Großmutter?«
    »Ja. Sie war eine tolle, starke Frau. Ich dachte bis heute, dass sie in allem, was sie gesagt hat, recht hatte. Aber heute habe ich sie bei einem Irrtum erwischt. Das steht fest.«
    »Das steht fest? Seit heute Nacht?«
    »Sie hatte eine falsche Meinung zum Thema Sex.«
    »Du hast mit deiner Großmutter über Sex gesprochen?«
    »Sie hat sich nicht viel draus gemacht.«
    »Trinken wir?«
    »Auf

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