Das Multiversum 1 Zeit
Wenn man fähig wäre, die Realität zu beeinflussen und sich mögliche andere Bestimmungen für dieses Molekül vorstellt, gäbe es viele Varia-tionsmöglichkeiten für die überflüssigen Gene, ohne das Molekül in seiner Funktion wesentlich zu beeinträchtigen. Wenn aber eine Änderung in den wichtigen strukturellen Komponenten eintritt – in denjenigen, die Informationen enthalten –, wird das Molekül wahrscheinlich unbrauchbar.
Deshalb muss die Grundstruktur bei geringen Veränderungen der Wirklichkeit stabil bleiben.
Wenn unser Bewusstsein also in gewisser Weise Realitäts-Veränderungen überbrückt…
Dann werden wir vielleicht imstande sein, eine Veränderung wahrzunehmen, eine Anpassung der Vergangenheit. Natürlich ist das spekulativ.
Und was ist mit dem freien Willen, Doktor Taine? Wie passt der in Ihren großen Plan?
Der freie Wille ist eine Auswirkung zweiter Ordnung. Sogar das Leben ist eine Auswirkung zweiter Ordnung. Wie Licht, das auf der wellenschlagenden Oberfläche des Flusses der Zeit tanzt. Es ist nicht einmal die Ursache der Wellen, ganz zu schweigen vom großen, majestätischen Fluss selbst.
Das ist aber eine verdammt pessimistische Sichtweise.
Aber eine realistische.
Wissen Sie, unsre Zeit ist eine Blase weit stromaufwärts, die völlig unbedeutend erscheinen muss angesichts der großen Herausfor-derungen der Zukunft. Aber sie ist nicht unbedeutend, weil sie nämlich die erste Blase ist. Und wenn wir die Carter-Katastrophe nicht überleben, verlieren wir alles – einschließlich der Ewigkeit selbst…
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Emma Stoney:
Die Medienfritzen wussten alles: die Carter-Prognose, die Botschaft aus der Zukunft, den eigentlichen Grund für die Umleitung der Nautilus. Einfach alles.
Emma war davon überzeugt, dass es Cornelius selbst gewesen war, der die Carter-Sache hatte durchsickern lassen. Obwohl das den Druck auf Bootstrap gewaltig erhöhte, schien es nur Malenfants Entschlossenheit zu verstärken, auf dem einmal eingeschlage-nen Weg weiterzugehen, die Kontakte zu Cornelius zu pflegen, das Cruithne-Projekt weiterzuverfolgen und einen neuen Start durchzuführen.
Was natürlich genau das war, was Cornelius wollte. Sie war aus-getrickst worden.
Sie verbrachte eine schlaflose Nacht mit der Überlegung, was als Nächstes zu tun sei.
Michael:
Zuerst erschien die Schule Michael als ein guter Ort. Besser jedenfalls als das Dorf.
Die Kleidung war sauber und frisch. Das Essen war zwar unge-wohnt und schmeckte manchmal komisch, aber es gab immer reichlich davon. Es gab Kühlschränke, die aufleuchteten und mit Essen und Getränken gefüllt waren – Essen, von dem die Kinder sich nach Belieben bedienen durften. Trotzdem vermisste Michael die Frucht des Affenbrotbaums.
Es gab hier viele Kinder, von sehr kleinen bis hin zu Teenagern.
Sie lebten in hellen und sauberen Wohnheimen.
Anfangs begegneten die Kinder sich mit Argwohn. Sie hatten keine gemeinsame Sprache, und Kinder, die sich untereinander zu 174
verständigen vermochten, bildeten Gruppen. Es gab jedoch niemanden, der Michaels Sprache beherrschte. Aber er war es schließ-
lich gewohnt, allein zu sein.
Dies war ein Ort namens Australien. Es war ein weites, leeres Land. Er sah Landkarten und Weltkugeln, hatte aber keine Vorstellung, wie weit er vom Dorf entfernt war.
Nur dass er weit davon entfernt war.
Sie hatten auch Unterricht. Die Lehrer waren Männer und Frauen, die sich Brüder und Schwestern nannten.
Manchmal wurden die Kinder in einem Raum versammelt, zehn oder fünfzehn an der Zahl, während ein Lehrer vor ihnen stand und ihnen etwas erzählte oder sie zur Arbeit mit Papier und Bleistift oder mit einer Softscreen anleitete.
Michael hatte, wie ein paar andere Kinder, eine besondere Softscreen, die in seiner Sprache zu ihm sprach. Es war tröstlich, das Flüstern der mechanischen Stimme zu hören, die wie ein fernes Echo von zu Hause klang.
Am schönsten war es aber, wenn er forschen durfte. Dann verwandelte die Softscreen sich in ein Fenster zu einer anderen Welt, einer Welt aus Bildern und Ideen.
Er interessierte sich weder für Sprachen noch für Musik oder Geschichte. Aber die Mathematik hatte es ihm sofort angetan.
Er sog die Symbole förmlich in sich ein, tippte sie in die Softscreen, kritzelte sie auf Papier und zeichnete sie sogar in den Staub, wie er es zu Hause immer getan hatte. Die meisten Symbole und ihre Bedeutung waren klarer als die, die er sich selbst zurecht-gelegt hatte, und er verabschiedete sich
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