Das Multiversum 1 Zeit
kaute abwesend den Krill, den die Strömung ihr in den Schnabel beförderte und beobachtete verzaubert, wie die neue Welt – ihre Welt – sich vor ihr entfaltete.
Ihre Welt. Sie hatte nicht erwartet, dieses Gefühl des Triumphs zu verspüren. Die Müdigkeit und das Gefühl der Isolation waren vergessen. Sie pulsierte vor Stolz, und die Chromatophoren juck-ten.
Und sie wusste, dass sie bereit war.
Emma Stoney:
Die Missionskontrolle für die Nautilus hatte nichts mit den kli-scheehaften Bildern zu tun, die Emma von Houston kannte – die Reihen schimmernder Terminals, die Ränge junger, Brillen tragender Ingenieure, die ihre Hemden durchschwitzten, wenn die Astronauten im Orbit in die nächste Krise gerieten. Das war das bemannte Raumfahrtprogramm. Dies hier war etwas ganz anderes.
Der Raum für Flugoperationen am JPL war eng, mit allen möglichen Geräten vollgestellt, und mutete alt an. Es gab große Massen-speicher-Geräte, riesige Aktenschränke und Berge von Papier. Alles wirkte morbide und alt.
Dan hatte einen eigenen Raum. Er hatte eine Softscreen auf dem Schoß ausgerollt und trug einen VR-Helm, der wie eine Badekappe am Kopf anlag. Die Augen waren hinter Gummiklappen verbor-207
gen. Überall lag Zeug herum: Bilder der Nautilus, wie sie die Umlaufbahn verließ, Aufnahmen vom Schiff, wie es auf dem Asteroiden landete und Abbildungen von Sheena 5. Außerdem eine Menge des üblichen Technikkrams, Spielzeug-Raumschiffe, Plastik-Aliens, Getränkedosen, Schokoladenpapier und Filmposter.
Dan drehte sich lächelnd zu ihnen um. Mit den versteckten Augen war das jedoch irritierend. »Hallo, Malenfant, Emma. Willkommen in der Geekosphäre …« Für ihn schwebten sie vielleicht vorm Hintergrund des pechschwarzen Cruithne. Aber sie bemerkte, dass er imstande zu sein schien, mit der Softscreen zu arbeiten, obwohl er sie unordentlich auf dem Schoß drapiert hatte und zudem überhaupt nicht sah. »Möchten Sie Kaffee oder eine Limo? Es gibt hier eine Shit-Maschine …«
»Ich möchte nur ein paar Neuigkeiten hören, Dan«, sagte Malenfant. »Vorzugsweise gute.« Seine Stimme klang sehr angespannt.
Dan streifte die VR-Kapuze ab. Die Augen waren gerötet und tränten, und die Maske hatte weiße Abdrücke auf der Stirn und den Wangen hinterlassen. »Volltreffer«, sagte er. »Das kohlenstoff-haltige Erz enthält Wasserstoff, Stickstoff, Methan, Kohlenmonoxid und -dioxid, Schwefeldioxid, Ammoniak …«
»Und Wasser?« fragte Emma.
Er nickte. »O ja. Als Permafrost und hydrierte Mineralien. Zwanzig Prozent der Masse, bei Gott. Alle Prognosen sind erfüllt und sogar noch übertroffen worden.«
Malenfant klatschte in die Hände. »Das ist ein wahrer Schatz dort oben.«
Dan klebte eine große Softscreen über die Poster, Fotos und den anderen Kram an der Wand und tippte darauf. Es erschien ein Bild der Asteroidenoberfläche – grobkörnig und zerfurcht wie Dreck am Straßenrand, sagte Emma sich – mit einem der Mikro-robots, die als ›Feuerkäfer‹ bezeichnet wurden.
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Vor ihren Augen quoll ein kleines Dampfwölkchen aus der Unterseite des Feuerkäfers. Er stieg fast senkrecht von der Oberfläche des Asteroiden auf, schwenkte in einer sauberen Kurve ein und schoss einen Pfeil ab, der eine Leine in der Art einer Angelschnur hinter sich her zog. Die Leine straffte sich und wickelte sich selbst auf, wobei sie den Feuerkäfer an die Oberfläche zurückzog.
»Die Feuerkäfer bewähren sich hervorragend«, sagte Dan. »Uns werden sicher hunderte von Anwendungen für diese Babies einfallen: im LEO, auf anderen Asteroiden und sogar auf dem Mond.
Das Antriebssystem ist Spitze. Es handelt sich um einen digitalen Antriebschip: eine Batterie von Festbrennstoff-Raketenmotoren, die man einzeln ansteuern kann, töfftöfftöff, um ein Höchstmaß an Manövrier-und Steuerfähigkeit…«
»Und Sheena bedient diese Dinger?« fragte Emma.
»O ja.« Dan grinste stolz. »Sie hat einen großen Waldo-Handschuh in ihrem Habitat, in den sie mit dem ganzen Körper schlüpft. Die Entwicklung war natürlich ziemlich aufwendig. Weil Sheena kein Knochengerüst hat, fehlt ihr das Gespür für die räumliche Position der Arme. Also versorgen die Waldos sie mit Informationen über Druck und Textur … Sie macht das wirklich gut.
Sie ist imstande, acht von diesen Babies gleichzeitig zu bedienen.
In vielerlei Hinsicht ist sie uns überlegen.«
»Trotzdem lassen wir sie dort draußen sterben«, sagte Emma.
Es trat ein verlegenes Schweigen
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