Das Multiversum 3 Ursprung
Turbulenzen auf.
Es geht schon los, sagte sie sich.
Kleine Arbeiter, nicht größer als Insekten, schwirrten um Babos Kopf und beschirmten ihn vor dem wechselnden Wind; sie sah sein Gesicht im Widerschein ihres mit Informationen gesättigten Leuchtens. »Die groben Parameter entsprechen unseren Erwartun-gen«, sagte er. »Ein Mond, eine richtige Welt mit zwei Dritteln des Erddurchmessers und einem Viertel der Masse. Er hat eine Atmosphäre …«
»Er ist nicht bestellt«, zischte Ohne-Name. »Deine Litanei von Zahlen ist bedeutungslos, du Narr. Sieh doch hin: Er ist nicht bestellt. Dieser Mond ist urzeitlich.«
Ohne-Name hatte recht. Auch ohne Vergrößerung vermochte Manekato endlose Weiten zu erkennen, wo niemand lebte: Dieser scheußliche rote Kontinent, die leeren Meere, die zerklüfteten Eiskappen. Es war eine unkultivierte Welt mit unerschlossenen Ressourcen.
Wild.
»Ja, wild«, knurrte Ohne-Name. »Und nun vergleiche ihn mit unsrer Erde. Seit zwei Millionen Jahren hegen und pflegen wir je-361
des einzelne Atom. Wir haben die Vielfalt der Arten erhalten. Wir haben sogar uns selbst geopfert – Milliarden Jahre verlorenen Lebens – und auf Langlebigkeit verzichtet, um das Gleichgewicht der Welt zu bewahren.«
»Eine Ökologie, die nur aus einer Spezies besteht, wäre nicht überlebensfähig«, murmelte Mane.
Ohne-Name lachte: »Du zitierst kindische Slogans. Denk nach, Manekato! Unsre Spezies ist geformt worden, wie wir unsre Welt geformt haben. Aber auf diesem scheußlichen Mond ist nichts geordnet. Wir hätten keinen Lebensraum. Wir müssten kämpfen, um unsre Ziele zu erreichen – vielleicht sogar ums Überleben.«
Mane fand diese Sichtweise erschreckend, obwohl sie sich eingestand, dass vielleicht ein Körnchen Wahrheit darin lag.
»Aber«, sagte Babo mit einem scharfen Unterton, »der Rote Mond kann nicht urzeitlich sein – er muss mit Bewusstsein ausgestattet sein. Sonst wäre er nämlich nicht hier.«
Ja, sagte Mane sich. Das stimmt. Und genau aus diesem Grund fürchtete sie sich vor diesem monströsen Mond. Es war eine tiefe Angst, wie sie sie noch nie zuvor empfunden hatte – eine Angst, die vom Gefühl der Machtlosigkeit durchdrungen war. Sie musste in den tiefsten Schichten der Erinnerung suchen und an die Wurzeln der Millionen Jahre alten Sprache gehen, mit der alle Kinder geboren wurden, um ein altes, obsoletes Wort zu finden, das ihre Befindlichkeit treffend bezeichnete: Aberglaube.
Babo leierte weitere Daten über die Zusammensetzung des Mondes herunter und beschrieb ihn als eine Kugel aus Silikat-Gestein mit einem kleinen Eisenkern. Je zuversichtlicher er wurde, desto klarer schien auch sein Denken zu werden. »Die Erde«, sagte er.
»Dieser wandernde Mond besteht aus dem gleichen Material wie die äußeren Schichten der Erde. Wie ist das möglich?«
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Die drei redeten durcheinander, konstruierten und prüften Hypothesen.
»Angesichts der Merkmale der Substanzen kann dieser Körper an keiner anderen Stelle im Sonnensystem entstanden sein.« »Ob er sich vielleicht von der Erde abgespalten hat, als der Planet aus der urzeitlichen Staub-und Eiswolke entstand?« »Nein, dann müsste die Zusammensetzung von den Proportionen her mit der Erde identisch sein, doch dieser Körper weist einen Mangel an Eisen und anderen schweren Elementen auf. Er gleicht eher einem Stück des Erdmantels, also den äußeren Schichten, der aufgerissen, wieder zusammengestoppelt und in den Himmel geschleudert wurde.«
»Dann müsste eine geänderte Erde entstanden sein, wobei das eisenhaltige Gestein zum Kern sank, bevor das Material, aus dem dieser Mond entstand, von den äußeren Schichten abgelöst wurde.
Aber wie hätte das geschehen sollen?« »Durch einen gewaltigen Vulkanausbruch? Jedoch hätte sicher nicht einmal das die erfor-derlichen Energien freigesetzt …« »Eine Kollision. Mit einem vagabundierenden Kleinplaneten, einem großen Himmelskörper oder sogar einem Planeten. Bei einer solchen Kollision wäre so viel Materie im All umhergespritzt, dass sie sich zu diesem Mond verdichtet hätte …«
Und so lüfteten sie in wenigen Sekunden das Geheimnis um die Entstehung des Monds – eine Deduktion, die den Menschen erst nach zweihundert Jahren Geowissenschaften gelungen war.
Auf der ganzen Erde mussten andere Augenzeugen zu einem ähnlichen Schluss gelangt sein, und Manekato hörte förmlich, wie Babo die Bestätigungen ins Ohr geflüstert wurden.
»Wenn dieser Rote Mond von der Erde
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