Das Multiversum 3 Ursprung
– jedenfalls bis zur Augenpartie. Die Augen wurden nämlich von einem ausgeprägten Knochenwulst überwölbt, der ihnen allen, sogar den kleinsten Kindern, eine grimmige und feindselige Ausstrahlung verlieh. Und darüber befanden sich eine fliehende Stirn und ein Schädel, der an einen Schrumpfkopf erinnerte – als ob der obere Teil des Kopfs abgesägt worden wäre. Sie hatten lockiges Haar, das durch den Regen aber verklebt wurde und die Konturen der absurd kleinen Köpfe deutlich zur Geltung brachte.
Affenköpfe auf menschlichen Körpern. Sie verständigten sich mit Rufen und englischen Brocken. Und keiner von ihnen sah so 52
aus, als ob er oder sie jemals ein Kleidungsstück am Leib getragen hätte.
Sie hatte noch nie von solchen Geschöpfen gehört. Was stellten diese Leute dar? Eine Art Schimpanse oder Gorilla? Aber mit solchen Körpern? Und seit wann sprachen Schimpansen Englisch?
In welchem Teil Afrikas war sie gelandet?
Der Regen wurde heftiger und erinnerte sie daran, dass sie einen Auftrag hatte.
Sie betrat die Ebene und arbeitete sich durch zunehmend schlammiges Gelände vor, bis sie ihren Fallschirm erreichte. Sie hatte schon befürchtet, dass die Hominiden den Schirm mitgenommen hatten, aber er lag noch immer an der Stelle, wo sie vom Himmel gefallen war.
Sie nahm eine Armvoll Fallschirmseide und riss sie aus dem Dreck. Der völlig durchnässte Schirm löste sich nur schwer aus dem Schlamm. Sie spielte mit dem Gedanken, den ganzen Schirm in den Wald zu schleifen, aber das wäre unpraktisch gewesen. Sie kramte in den Taschen und fand das Schweizer Messer, ein Geschenk der südafrikanischen Luftwaffe. Sie entdeckte, dass ihr eine Reihe von Schraubenziehern zur Verfügung standen, ein Dosen-und Flaschenöffner, eine Säge und Schere, ein Vergrößerungsglas und eine Nagelfeile. Und dann fand sie noch eine robuste Klinge.
Sie beschloss, ein etwa zwei mal zwei Meter großes Stück herauszu-schneiden, das für einen vorläufigen Wetterschutz ausreichen wür-de. Wenn der Regen aufgehört hatte, würde sie zurückkommen und den Rest der Fallschirmseide bergen.
Sie durchschnitt das Material des Fallschirms. Es war eine langwierige Arbeit.
Zum erstenmal, seit die Lage im Flugzeug eskaliert war, hatte sie Zeit zum Nachdenken.
Es war alles so schnell gegangen, dass die Erinnerung nur schemenhaft war. Sie erinnerte sich an Malenfants letzten Ausruf über 53
Funk, den plötzlichen Ausstieg – ohne Vorwarnung war sie in die kalte Luft geschleudert worden und hatte vor Schmerz aufgeheult, als die Raketen des Schleudersitzes ihr einen Schlag in den Rücken versetzten – und dann, als der Fallschirm sich schon öffnete, sah sie, dass das Rad wie ein Mund sich vor ihr öffnete – und ihr war bewusst geworden, dass sie unweigerlich darin verschwinden wür-de …
Blaues Licht war gegen sie angebrandet. Sie hatte einen kurzen stechenden Schmerz verspürt.
Und dann das.
Sie hatte sich, nach Luft ringend, in struppigem Gras und in einer roten Staubwolke wiedergefunden. Auf dem Boden liegend, wo sie gerade noch in einer Höhe von zwölftausend Metern gewesen war. Aus der Luft auf den Boden: Das war der erste Schock.
Sie war sich der anderen, der Fremden bewusst gewesen, der beiden Erwachsenen und des Kindes, die aus dem Nichts neben ihr erschienen waren. Sie hatte auch dieses blaue Portal gesehen, das perspektivisch verkleinert über ihr hing. Und dann war es verschwunden und hatte sie hier zurückgelassen.
Ja, aber wo war sie hier?
Schließlich hatte sie das Stück aus dem Fallschirm herausgeschnitten. Sie ging in die Hocke und spannte Muskeln an, die nicht an körperliche Arbeit gewöhnt waren. Dann klappte sie das Messer zu. Spontan hob sie das Messer hoch und ließ es fallen. Es schien wie in Wasser zu sinken.
Niedrige Schwerkraft. Als ob sie auf dem Mond wäre.
Das war doch lächerlich. Wenn sie aber nicht auf dem Mond war, wo dann?
Nur mit der Ruhe, Emma. Wo du bist, ist sicher nicht so wichtig wie die Frage, was du nun unternehmen sollst – vor allem, wie du so lang überleben willst, bis Malenfant die Behörden alarmiert und sich auf die Suche nach dir macht.
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… Malenfant.
Hatte sie den Gedanken an ihn verdrängt? Er war bestimmt nicht in der Nähe; sonst hätte er sich schon bemerkbar gemacht.
Wo war er dann? Auf der anderen Seite des blauen Portals?
Aber er hatte sich auch in der abstürzenden Maschine befunden.
Ob er überhaupt noch am Leben war?
Sie schloss die Augen und wippte
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