Das Multiversum 3 Ursprung
sie hatte das Gefühl, als ob die Hand in einen Schraubstock gespannt würde.
Dann ließ er sie los. Er lehnte sich zurück und bleckte in einem breiten Grinsen die Zähne. »Wie?«
»Wie komme ich durch die Windmauer? Ich denke die ganze Zeit darüber nach. Was auch immer den Wind kontrolliert, ist zu schlau, um sich durch den äußeren Anschein täuschen zu lassen.
Es genügt nicht, dass ich wie ein Ham aussehe. Aber wenn es mir vielleicht gelingt, wie ein Ham zu denken …«
Narbenkopf schleppte zwei Haxen von der Rückseite der Höhle an. Für einen Moment sah der Alte aus wie Caveman aus dem gleichnamigen Comic. Er warf das Fleisch auf den festgestampften Boden und ging dann in die Höhle zurück, um Werkzeug zu holen.
Emma hatte sich wieder als Neandertaler verkleidet. Sie setze sich vorsichtig auf den Boden und verzog keine Miene, damit die Lehmmaske keine Risse bekam.
Wie immer zeigte niemand das geringste Interesse an ihr – nicht einmal die Kinder.
Das Fleisch war ein Beinpaar, von den Hufen bis zur Schulter.
Es stammte vielleicht von einem Pferd. Die Glieder waren schon gehäutet und dampften leicht. Fliegen schwirrten um das frische, blutige Fleisch.
Narbenkopf kehrte zurück. Er warf die Werkzeuge auf den Boden und setzte sich im Schneidersitz hin. Er grinste; das Narbengewebe schimmerte in der niedrig stehenden Morgensonne.
Sie betrachtete die Werkzeuge mit flüchtigem Interesse. Sie bestanden aus Kieselsteinen, die aus Flussbetten stammten und als Hack-Werkzeuge benutzt wurden, und dunklen Basaltblöcken in 577
Form doppelseitig geschliffener Faustkeile und Schaber. Es waren Gebrauchswerkzeuge, stark verschlissen und blutverschmiert.
Bevor sie die Erde verlassen hatte, war ihr diese Technik unbekannt gewesen, und wenn sie mit diesem Sammelsurium von Kieselsteinen und anderen Steinen konfrontiert worden wäre, hätte sie es als bloßen Schutt abgetan. Nun wusste sie es besser. Werkzeuge wie diese und die noch primitiveren Artefakte der Läufer hatten sie die letzten Monate am Leben erhalten.
Narbenkopf hielt ihr einen Faustkeil hin.
Sie nahm den Stein und fühlte die raue Textur. Sie drehte ihn in der Hand, prüfte das Gewicht und fühlte, dass er sich perfekt in ihre kleine menschliche Hand schmiegte – denn Narbenkopf hatte ihn eigens für sie angefertigt.
Nun hielt Narbenkopf einen neuen Obsidianbrocken und Hämmer aus Knochen und Stein hoch. »Nachmachen«, sagte er nur. Er griff sich ein Pferdebein und säbelte am Gelenk zwischen Schulterblatt und Oberschenkelknochen. Die Stein-Klinge schnitt mit einem ratschenden Geräusch durch Sehnen und Fasern.
Sie versuchte es ebenfalls. Das bloße Hantieren mit dem schweren Bein bereitete ihr schon Mühe; die Gelenke waren hart wie Stein, und das kalte Fleisch rutschte ihr aus der Hand.
Sie seufzte. »Würden Sie mir bitte die Speisekarte für Vegetarier bringen?«
Narbenkopf schaute sie stumm an. Keine locker-flockigen H sap -
Witze, Emma; du bist jetzt im Neandertal, klar?
Sie versuchte es weiter und grub das Messer ins Fleisch, bis sie die Sehnen unter der Schulter freigelegt hatte. Das Fleisch, das kalt und glitschig auf ihren Beinen lag, war purpurrot und mit Fett marmoriert. Obwohl es totes Fleisch war, sah man ihm an, dass es noch vor kurzem an etwas Lebendigem gehängt hatte.
Sie drehte den Faustkeil in der Hand und suchte die schärfste Schneide. Es gelang ihr, die Klinge ins Gelenk zu drücken und an 578
den zähen Bändern zu sägen. Sie schabte, bis sie wie gespannte Schnüre rissen.
Narbenkopf grunzte.
Überrascht hob sie den Kopf. Sie hatte sich mit dem Werkzeug geschnitten. Es waren lange, gerade Schnitte, die parallel zur Le-benslinie auf der Handfläche verliefen. Sie hatte die Schnitte nicht einmal gespürt – allerdings war die Klinge eines Steinmessers unter Umständen schärfer als ein Metallskalpell; sie vermochte einen aufzuritzen, ohne dass man es merkte. Zu spät sah sie, dass Narbenkopf die Hand mit einem dicken Lederlappen umwickelt hatte und sich eine Art Schürze auf den Schoß gelegt hatte.
Und nun machte der Schmerz sich bemerkbar. Er durchfuhr sie, als ob sie sich ein paar Mal an Papier geschnitten hätte, und sie schrie leise auf. Sie ging zum Bach und tauchte die Hand ins kalte Wasser, um die Blutung zu stillen.
Narbenkopf wartete geduldig auf sie. Sein breites, vernarbtes Gesicht zeigte keine Regung, die sie zu deuten vermocht hätte.
Du machst dich nicht sehr gut, Emma.
Sie versuchte es
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