Das Multiversum 3 Ursprung
schlängelte der Fluss sich träge auf einer Länge von anderthalb Tausend Kilometern zur Ostküste, wo er ei-98
ne Bergkette durchstieß und in einem breiten Delta ins Meer mündete.
An der Ost-und Westküste des Superkontinents ragten Berge auf. Es handelte sich wahrscheinlich um Vulkane. Die an der Ostküste schienen erloschen; sie waren stark erodiert und schienen einen Regenbogen über das trockene Innere des Kontinents zu werfen. Trotzdem gab es einen verhältnismäßig üppigen Vegetations-gürtel zwischen den Bergen und der Küste. Die Kommentatoren bezeichneten ihn als den Gürtel. Das Grün stieß als schmaler Saum am Flusstal ins Innere des Kontinents vor, sozusagen der Nil dieser kleinen Welt.
Aber die Vulkane an der Westküste waren definitiv nicht erloschen. Ein paar Tage, nachdem der Rote Mond im Orbit um die Erde erschienen war, hatte man dort Vulkanausbrüche beobachtet.
Die Ursache waren wahrscheinlich tektonische Bewegungen, die durchs Gravitationsfeld der Erde induziert worden waren.
Das mussten spektakuläre Eruptionen gewesen sein. Schweres und dichtes Gestein dicht unter der Oberfläche schien den Lava-strom blockiert und einen stetig steigenden Druck aufgebaut zu haben, bis der Pfropf schließlich mit explosiver Wucht wie ein Korken aus der Flasche geflogen war. Auf der Erde schleuderten solche Stratovulkane – Mount Fuji und Mount Rainier – Schutt kilometerhoch in die Atmosphäre. Auf dem Mond hatten die Vulkane den Schutt gleich vom Planeten weggeschleudert. Riesige Mengen Staub und Gas waren in die Atmosphäre gepumpt worden und spannten sich als breite Bänder um die mittleren Breiten des Monds.
Aus einer Entfernung von vierhunderttausend Kilometern vermochte man dem Roten Mond mit Teleskopen, Spektrometern und Radar viele Geheimnisse zu entlocken, während die beiden Hemisphären sich gemächlich dem Beobachter präsentierten. So bestanden diese Meere zum Beispiel wirklich aus Wasser. Der 99
Temperaturbereich stimmte – was auch zu erwarten war, weil der Mond sich mit der Erde eine Umlaufbahn um die Sonne teilte –, und die Untersuchung des sichtbaren und Infrarot-Spektrums ergab, dass die Wolken aus Wasserdampf bestanden und genau die richtige Masse hatten, um aus den Meeren verdampft zu sein.
Die Oberflächengravitation des Roten Monds betrug etwa zwei Drittel des irdischen Werts – viel mehr als der von Luna und hoch genug, um alle wesentlichen Bestandteile einer erdähnlichen Atmosphäre zu enthalten: Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserdampf, Kohlendioxid – ganz anders als die tote Luna. Also hatte der Rote Mond Wasser-Meere und eine Stickstoff-Sauerstoff-Atmosphäre.
Das Studium des Roten Mondes hatte die junge Wissenschaft der Planetologie revolutioniert. Mit einem Viertel der Erdmasse – aber dem Vierfachen der Masse des Mars und der etwa zwanzigfachen von Luna – verdiente der Rote Mond das Prädikat ›Planet‹.
Von der Größe rangierte er in der Mitte der großen und kleinen Bewohner des Sonnensystems und war ein guter Prüfstand für verschiedene Theorien der Planeten-Entstehung und Entwicklung.
Er unterschied sich grundlegend von der Erde. Weil er so viel kleiner war, musste bei seiner Entstehung (wo auch immer das passiert war) viel weniger Wärmeenergie entstanden sein. Und diese Wärme war schnell durch die Oberfläche entwichen.
Der Rote Mond hatte eine dicke Kruste wie eine verschrumpelte Orange. Wahrscheinlich hatten sich schon vor Urzeiten die tektonischen Platten verbunden, so dass die Kontinente sich nicht mehr verschoben. Es gab keine Kontinentaldrift, keine tektonischen Zyklen, keine untermeerischen Gebirge. Im Gegensatz zur Erde war die Oberfläche des Mondes uralt; und deshalb gab es im Innern des Kontinents auch diese stark erodierten Krater, die Narben gewaltiger Einschläge.
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Und deshalb war die Zielscheibe auch so groß. Der mächtige Schildvulkan war wahrscheinlich über einer Magmafontäne entstanden, die aus einer Spalte in den Krustenschichten eruptiert war. Die Kruste über der Spalte musste für ein paar hundert Millionen Jahre dichtgehalten haben – also hatte der Vulkan mehr Ähnlichkeit mit Olympus Mons auf dem Mars als zum Beispiel mit den hawaiianischen Inseln auf der Erde.
Aber es tat sich mehr dort oben als nur Geologie. Auf dem Roten Mond schien es Leben zu geben.
Die Luft war erdähnlich und enthielt etwa ein Sechstel Sauerstoff – ein geringerer Anteil als in der Erdatmosphäre, aber groß genug, dass
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