Das Multiversum 3 Ursprung
die NASA kann es im Moment auch nicht beantragen.
Ziehen Sie den Kopf aus dem Arsch und schauen Sie sich um. Die Flut. Die Menschheit hat andere Prioritäten …«
Das erste Sonnenlicht züngelte über den Horizont des Atlantik, orangefarbene und rosige Schlieren, die das unnatürliche Licht des Roten Monds überstrahlten. Malenfant verspürte ein Kribbeln in den Waden. Der Atem ging immer schwerer, und das Herz hämmerte.
Ich bin zu untrainiert.
Seit der Vorbereitung auf den ersten Raumflug hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, in der Morgendämmerung zu laufen.
Emma hatte sich beschwert, dass er immer weniger Zeit mit ihr verbrachte, doch so lang er sie beim Aufstehen nicht weckte, schien sie ihm das zu vergeben. Aber sie hatte ihm immer schon eine ganze Menge vergeben. Will ich sie deshalb unbedingt finden – um ihr zu sagen, dass es mir leid tut? Wäre das so schlimm?
Oder bin ich egoistisch – will ich sie nur wiederhaben, um sie noch mehr mit meinem Scheiß zu belasten …?
Emma!
Er lief weiter und spürte bei jedem Schritt den kalten Sand unter den Füßen. Während das Blut durch die Adern strömte, wurde er sich bewusst, wie das Gedankengeflecht sich auflöste: Die besessene ›Nachtschicht‹ mit der Planung und dem Kopfzerbrechen darüber, was er hätte sagen und was er hätte tun sollen, all das wurde weggespült. Das ist auch der Sinn sportlicher Aktivitäten, sagte er sich: Das Gehirn schaltet ab, und man wird auf animalische Körperlich-keit reduziert.
Das war buchstäblich seine einzige Möglichkeit, vor sich selbst davonzulaufen.
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Er hatte nur ein paar Kilometer laufen wollen, bevor er umkehr-te. Doch als er den Wendepunkt erreichte, sah er etwas am Strand, vielleicht anderthalb Kilometer weiter südlich: Klobig, mit deutlichen Konturen und sehr groß. Es leuchtete orangefarben im Licht der aufgehenden Sonne. Ein gestrandeter Wal? Die Flut hatte die Wanderungsbewegungen der Tiere vollkommen durcheinander gebracht. Nein, dafür war es zu kantig. Also ein Wrack?
Spontan lief er weiter am Strand entlang.
Das angeschwemmte Objekt hatte die Größe eines Hauses und war etwa acht bis neun Meter hoch. Es war stark erodiert; durch die Wirkung des Winds waren Vertiefungen und Grate in die Wän-de gefräst worden. Als Malenfant am Fuß des Gebildes stand, wurde die Meeresbrise plötzlich deutlich kühler.
Er strich mit der Hand über die Oberfläche. Unter den Strängen aus Seetang war eine graue narbige Fläche, die sich kalt und glitschig anfühlte. Eis natürlich. Im trüben Licht der Dämmerung erkannte er den kalten blauweißen Schimmer des festen Eises darunter. Er fragte sich, wie lang es dauern würde, bis der Eisberg geschmolzen war.
Er war von der Flut hier angelandet worden.
Die ersten paar Tage waren die schlimmsten gewesen, als die Weltmeere wegen eines plötzlichen diskontinuierlichen Schocks wie Wasser in einer Badewanne geschwappt waren. Küstengebiete waren auf einer Fläche von vielen Millionen Quadratkilometern überschwemmt worden. An manchen Orten waren hundert Meter hohe Flutwellen entstanden, als das Meer durch Strömungen oder die Topographie des Meeresbodens gegen das Land gedrückt wurde.
Danach erzeugte der Rote Mond mit der zwanzigfachen Masse von Luna jeden Tag den zwanzigfachen Tidenhub – zumindest in etwa. Die Rotation des neuen Monds komplizierte den ohnehin schon komplexen gravitationalen Reigen der Himmelskörper.
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Die Küstenlinien der Welt waren neu gezogen worden. Der Är-melkanal hatte sich verbreitert und die weichen weißen Kreidefel-sen der englischen Südküste ausgewaschen, auch die weißen Klippen von Dover. Sogar Küstenlinien aus massivem Gestein wie an der amerikanischen Ostküste wurden erodiert. Der Golf von Mexi-ko und das Mittelmeer hatten bislang die schwächsten Gezeiten der Erde gehabt: Nun war der Tidenhub von einem halben Meter auf über zehn Meter angestiegen, und an der ganzen Mittelmeer-küste waren Orte, deren Ursprünge bis zu den Anfängen der Zivilisation zurückreichten, in ein paar Wochen zerstört und ins Meer gespült worden. Außerdem hatte die Flut an den Mündungen vieler Flüsse einen Rückstau und hohe Flutwellen verursacht. Dadurch waren im Hinterland riesige Überschwemmungsgebiete entstanden, die im Wechsel von Ebbe und Flut entwässert und über-flutet wurden – ein Teil des fruchtbarsten Ackerlands der Erde war mit Salzwasser getränkt worden.
Die Leute waren in einer zweiten Flutwelle von den
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