Das Multiversum 3 Ursprung
der Systeme des Raumschiffs instruieren und über die Prozeduren, die sie in den einzelnen Phasen der Mission würden befolgen müssen.
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Das größte diesbezügliche Problem war die Schnelllebigkeit der Konstruktion. Weil die Ingenieurs-Teams alles im Schiff unterbrin-gen wollten, was sie für erforderlich hielten, wurde die Konstruktion wichtiger Systeme täglich verändert – so dass die Besatzung sich mit diesen ständigen Neuerungen vertraut machen musste. Irgendwann war Malenfant der immer neuen Simulationen überdrüssig geworden. Er hatte die Sims abgeschaltet und ein Kabinen-modell aus Sperrholz anfertigen lassen, wobei die Instrumente als Papierschablonen aufs Holz geklebt waren. Das war zwar nicht in-teraktiv, aber auf diese Art vermochten sie sich auch mit den Systemen und Prozeduren vertraut zu machen – und das Modell jeden Morgen mit Klebeband und Papier zu aktualisieren, wenn wieder einmal eine Neuerung stattgefunden hatte.
Die raumschiffbezogene Ausbildung war aber noch das Geringste. Der Rest war problematischer. Wie sollte man sich schließlich auf den Aufenthalt auf einer völlig fremden Welt vorbereiten?
Malenfant und Nemoto hatten sich einem ausgiebigen HöhenTraining unterzogen, weil zumindest feststand, dass die Luft auf dem Roten Mond dünner war als auf der Erde. Außerdem hatten sie sich durch tropische Urwälder geschlagen, weil geplant war, sie in einer Vegetationszone in der Nähe des Mondäquators herunter zu bringen.
Darüber hinaus bestand nur Ungewissheit. Niemand wusste, ob sie genug Trinkwasser finden würden. Niemand wusste, ob die Pflanzen essbar wären – immer unter der Voraussetzung, dass es sich bei den grau-grünen Flächen, die durch die Teleskope zu sehen waren, überhaupt um Vegetation handelte. Niemand wusste, ob es jagdbare Tiere gab – oder ob es Tiere gab, die zwei menschliche Astronauten jagen würden. Es war nicht einmal klar, ob man die Luft ungefiltert zu atmen vermochte.
Das Schiff wäre mit Vorräten für drei Tage bestückt, einschließ-
lich Luftfilter, Wasser und Nahrungskonzentraten. Wenn die For-166
scher innerhalb dieses Zeitraums feststellten, dass sie nicht von dem zu leben vermochten, was das Land hergab, würden sie einfach wieder ins Landungsboot steigen und abfliegen (natürlich unter der Voraussetzung, dass sie das Rückflug-Raketenpaket fanden, das ihnen zum Mond folgen sollte).
Und dann war da noch das Geheimnis der Hominiden, die aus dem Rad am Himmel gepurzelt waren.
Malenfant und Nemoto hatten stundenlangen Vorträgen von Julia Corneille und anderen Leuten gelauscht und sich einen Überblick über die Evolution des Menschen zu verschaffen versucht.
Sie hatten eine Parade von Spezies in Computer-Animationen an sich vorbeiziehen sehen – Australopithecus, Homo habilis, Homo erectus, der archaische Homo sapiens, Homo heidelbergensis, Homo neandertalensis … Malenfant erschien das als eine Galerie von Spekulationen, die genauso bruchstückhaft waren wie die Knochenreste, auf denen sie beruhten. Er hatte eigentlich geglaubt, dass die neueren Erkenntnisse, die auf DNA-Abweichungen basierten, für ein klareres Bild gesorgt hätten, aber sie schienen nur zur weiteren Verwirrung beigetragen zu haben. Zumal niemand wusste, wohin die Menschheit sich entwickelte. Malenfant hatte beunruhigt zur Kenntnis genommen, dass, wenn man die Ebene der populärwis-senschaftlichen Vereinfachungen verließ, nicht einmal eindeutige Erkenntnisse über die Herkunft des Menschen vorlagen.
Unterm Strich war der Unterricht also ziemlich überflüssig gewesen. Da hatte der Drill mit archäologischen Techniken, Datie-rungsmethoden, anatomischen Unterscheidungsmerkmalen und so weiter, dem Malenfant sich unterzogen hatte, schon einen stärkeren Bezug zur Praxis gehabt. Er musste nämlich wissen, wie er mit einem quicklebendigen Homo habilis- Stamm umzugehen hatte, falls er auf dem Roten Mond einen Höhenzug überquerte und ihnen plötzlich gegenüberstand – oder sie ihm. Aber so weit dachten die Experten der NASA, Fachidioten allesamt, nicht. Es war, als ob sie 167
nur die Knochensplitter sähen und nicht die Leute, die einst gelebt und diese alten Schätze hinterlassen hatten.
Wenn in irgendeiner Hinsicht eine Übereinstimmung bestand, dann dahingehend, dass Malenfant und Nemoto Waffen mitführen sollten.
… Er hatte den Hut verloren. Er sah ihn auf dem Boden liegen.
Er hörte ein Klingeln in den Ohren. Er musste den Hut aufheben. Er bückte sich
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