Das Multiversum 3 Ursprung
Gorillas gehabt: Gedrungen, kräftig und fast zweieinhalb Meter groß. Trotzdem hatte sie eine elegante Gangart: Sie ging auf den Knöcheln und drückte sie sanft, sogar ehrfürchtig in den sandigen Pfad. Jeder Fleck des Lands war so kostbar für sie wie ein Tropfen Herz-blut. Sogar dieser Pfad erfüllte seinen Zweck in stiller Würde; er hatte schon das Gewicht ihrer Mutter und der Mutter ihrer Mutter getragen, bis zu den Wurzeln der Vergangenheit – und nun trug er ihr Gewicht.
Stille Würde, sagte sie sich. Danach muss ich streben in den schwierigen Zeiten, die vor mir liegen.
Der Pfad endete an einer flachen Klippe, die aufs Meer hinausging. Das Meer war grau, der Himmel bewölkt und die Luft salzhaltig, und mächtige Wellen, die von einem Sturm erzeugt wurden, der weit hinterm Horizont tobte, brandeten mit ungeheurer Wucht gegen den stark erodierten Strand. Manekato erhaschte ei-226
nen Blick auf das rechteckige Gitter, das den Meeresboden überzog. Dieses leuchtende Geflecht, das im trüben Wasser versank, war die Grenze der Unterwasser-Farmen.
Die Gezeiten waren schwach auf dieser mondlosen Erde, so dass der Strand schmal und von Wellen gezeichnet war. Und doch stießen große Vögel vom Himmel herab und schnappten nach den leichtsinnigen Fischen und Krebsen, die diesen schmalen unwirtli-chen Saum als Lebensraum nutzten. Manekato drehte die Ohren, um den Vögeln zu lauschen, die mit tiefen und kehligen Schreien das unablässige Tosen des Winds zu übertönen versuchten.
Manekato drehte sich um, verlagerte das Gewicht auf die Knö-
chel und schaute den Weg zurück, den sie gekommen war. Die Farm dehnte sich über einen flachen Hügel aus – es war eigentlich der Kegel eines Vulkans, der vom Wind zu einer Kuppe erodiert worden war, lang bevor ihre Abstammungslinie dieses Land urbar gemacht hatte. Dominiert wurde die Farm vom niedrigen stromlinienförmigen Haus, das auf der Spitze des Hügels saß und dessen Bug wie ein gestrandetes Schiff in die vorherrschende Windrich-tung wies. Um das Haus erstreckte sich ein glühendes Gitternetz aus Licht, und zwar in dem hexagonalen Muster, das die Signatur der Abstammungslinie der Poka war. Auf jedem der Felder, die durch das Gitter markiert waren, wuchs eine andere Getreidesorte.
Die Palette reichte von den aktuellsten, selbst-rekursiven Arbeiter-Designersorten – sogar von hier aus vermochte sie die kurzen Stie-le und knubbeligen Ähren zu erkennen, die aus dem Boden ragten – bis hin zur ersten Ernte der Abstammungslinie, einer Weide mit dickem kurzem Stamm, aus deren Rinde noch immer einer der besten Tees überhaupt erzeugt wurde.
Aber das Land war nur ein Querschnitt der eigentlichen Farm.
Tief unter ihren Füßen stapelten sich kultivierte Schichten, die über Röhren mit Licht von der Oberfläche versorgt wurden, die im Urgestein eingeschlossenen Minen für Wasser und Kohlenwas-227
serstoffe und sogar ein großes Bohrloch, das die Kruste des Planeten bis in den Mantel durchstieß und die Wärme des Erdkerns an-zapfte. Es gab noch mehr Röhren, durch die Wärme, Kohlendioxid und andere Abfallprodukte in den Erdboden zurückgepumpt wurden, denn die Abstammungslinie der Poka lebte in Symbiose mit der Welt.
Die Aktivitäten der Farm erstreckten sich sogar in den Luftraum.
Manekato sah gentechnisch gefertigte Vögel überm Haupthaus kreisen, die vom Wind herangetragenen Schutt vom Himmel holten. Die Bewegungsfreiheit der Vögel war aufs Gebiet der Farm beschränkt, und Manekato sah, wie sie sich zu einem großen keilförmigen Schwarm formierten; er war so hoch, dass die höchsten Vö-
gel nur noch Punkte vor den sich kräuselnden Wolkenbändern waren, die das Revier der Himmels-Farmer darstellten.
Vom Erdkern bis zu den Wolken: So groß war die Ausdehnung der Poka-Farm, wo jedes Fleckchen bearbeitet und bestellt war, wo jeder Krümel Erde, jedes Luft-und Wassermolekül funktionalisiert war und wo jedem Bakterium und Insekt, jedem Tier und Vogel ei-ne bestimmte Rolle in der verwalteten Ökologie zugewiesen war.
Es gab kein Fleckchen auf dieser Welt, das nicht ähnlich kultiviert und von seiner Abstammungslinie gehegt und gepflegt worden wäre.
Und die ganze Farm würde bald Manekato gehören, obwohl sie erst acht Jahre alt war. Noch immer eine junge Erwachsene, die zwei Drittel des Lebens noch vor sich hatte.
Auch wenn sie dieses Erbe gar nicht wollte.
Nun hörte Manekato einen schwachen Ruf. Sie schwenkte die parabolischen Ohren zum Haus und hörte
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