Das Multiversum 3 Ursprung
fütterte.
Jacob ließ das ohne eine Bemerkung oder Anzeichen von Scham geschehen.
Jacobs Körper war von einem langen, entbehrungsreichen Leben gezeichnet. Beim Angriff eines wilden Pferds waren ihm die Zähne ausgeschlagen, ein Arm gebrochen und die linke Seite gequetscht worden. Außerdem hatte er sich das Bein verstaucht, und es wollte nicht heilen. Durch diese mehrfachen Verletzungen vermochte er sich nicht mehr an der Jagd zu beteiligen und war nicht einmal mehr für einfachere Aufgaben zu gebrauchen, zum Beispiel zum Errichten von Feuerstellen oder zur Werkzeugherstellung.
Joshua erinnerte sich, wie ein gesunder Jacob Joshua einmal bei der Pflege von Joshuas Mutter geholfen hatte, als sie wegen einer Krankheit im Sterben lag, bei der der Bauch anschwoll und sie Blut hustete. Und nun pflegte Abel Jacob. Das war der Lauf der Welt, der nicht hinterfragt wurde.
Jacob war mit einem Alter von neununddreißig Jahren die älteste Person der Gruppe.
Als es Abend wurde, scharten die Erwachsenen sich in lockeren Grüppchen zusammen. Joshua gesellte sich zu einem solchen Kreis. Er sprach wenig und schnitzte aus einem feuergehärteten Holzstock einen neuen Speer. Ruth schabte das Fell von der Pfer-241
dehaut und gerbte es mit den Zähnen. Andere widmeten sich ähnlich stillen Verrichtungen.
Wie die anderen lauschte auch Joshua aufmerksam der Unterhaltung und nahm jede Andeutung von Gerüchten, Liebesschwüren, zerbrochenen Liebschaften, gelobten oder gezüchtigten Kindern, zugezogenen oder geheilten Verletzungen begierig auf. Seine Hän-de bearbeiteten den Stock, aber es war eine einfache, uralte Aufgabe und den Leuten durch generationenlange Übung so in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie fast so unbewusst erfolgte wie das Atmen. Es war, als ob nichts in der Welt existierte außer dem Kreis der Gesichter im Widerschein der Feuer. Die ganze Unterhaltung drehte sich nur um sie selbst und nicht etwa um die Werkzeuge, die sie anfertigten; das waren Dinge der Tat, nicht der Rede.
Als das letzte Tageslicht in den Ausschnitten des Himmels erlosch, die durch die Rauchabzüge zu sehen waren, löste die Ver-sammlung sich auf. Abel fasste Ruth an der Hand und führte sie in eine dunkle Ecke der Hütte, in der Nähe der Stelle, wo der zahnlose Jacob laut schnarchte.
Joshua legte sich in der Nähe des Feuers, das Ruth gebaut hatte, allein auf ein Lager aus Seetang. Er starrte ins Feuer und glaubte Gestalten in den Flammen tanzen zu sehen, Skinny -Leute wie die Eiferer oder die Englischen. Obwohl die tanzenden Kreaturen ihn belustigten, störten sie ihn auch, denn es gab hier nur Flammen, keine Leute oder Tiere.
Es kam Joshua so vor, als ob er durch einen leisen, erstaunt klin-genden Seufzer von Jacob geweckt worden wäre. Dann war wieder Stille. Joshua schenkte dem aber keine Beachtung und fiel in einen tiefen Schlaf.
Am Morgen sahen sie Jacob tot daliegen. Der Kopf war auf den verletzten Arm gefallen.
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Sie begruben Jacob direkt vor dem Haupteingang der Hütte.
Joshua beseitigte Geröll, abgenagte Tierknochen und Splitter bearbeiteter Steine und hob mit bloßen Händen und Steinschabern ein Grab aus. Mächtige Muskeln arbeiteten.
Als das Grab ausgeschachtet war, hatte es ungefähr die Länge von Joshuas halber Körperhöhe und war so flach, dass der Rand ihm kaum bis zu den Knien reichte. Schon in dieser geringen Tiefe hatten die Totengräber die Ruhe anderer Gebeine gestört, die durch die lange Liegezeit im Boden gelb und braun verfärbt waren – die Knochen längst vergessener Leute.
Abel trug Jacobs Leiche in den Armen. Der ruinierte Körper mit dem klaffenden zahnlosen Mund war leicht, denn Jacob hatte schon seit längerer Zeit nicht mehr richtig zu essen vermocht.
Abel weinte, denn er hatte Jacob, der nun gegangen war, gern gehabt. Abel legte den Leichnam auf den Boden und versuchte ihn in eine fötale Haltung zu bringen: die Knie an die Brust gezogen, den Kopf auf dem Unterarm liegend, aber er war schon zu steif.
Also waren Abel und andere gezwungen, solang an dem Körper zu zerren, bis die Gelenke ausgerenkt waren und er sich wie ge-wünscht zusammenfalten ließ. Dann band Abel die Handgelenke und Fußknöchel mit Lederschnüren zusammen.
Kinder schauten mit großen Augen zu.
Abel senkte den Körper zwischen den vergilbten Knochen namenloser Vorfahren ins Grab. Dann schaufelte er das Grab mit dem Fuß wieder zu.
Andere schlossen sich ihm an und trugen mit Händen und Fü-
ßen die Erdhaufen ums
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