Das Multiversum 3 Ursprung
der anderen durchaus reagierten.
Joshua war kleinwüchsig und vierschrötig. Er hatte eine Tonnen-brust, und die Arme und die kurzen, grobknochigen Beine waren leicht gekrümmt. Die Füße waren breit, die Zehen dick und knochig. Die großen Hände mit den langen kräftigen Daumen waren von Steinsplittern vernarbt. Der Schädel unter einem Schopf aus dunkelbraunem Haar war lang und flach, mit einer Ausbeulung am Hinterkopf. Das gestreckt wirkende Gesicht lief in einer gro-
ßen fleischigen Nase aus; die Wangen muteten geradezu stromlinienförmig an, und der massive, aber kinnlose Kiefer stieß nach vorn. Die Augen wurden von einem dicken Brauenwulst überwölbt, der die Augen verbarg. Zwischen dem Brauenwulst und der fliehenden Stirn verlief eine ausgeprägte Rinne.
Er wirkte kraftvoll und wild. Aber aus den rehbraunen Augen sprachen Unsicherheit und Verwirrung.
Joshua war fünfundzwanzig Jahre alt und schon eins der ältesten Mitglieder der Gruppe; nur ein paar Männer und Frauen waren 236
noch älter als er. Trotzdem fühlte er sich noch immer als Außenseiter, der er es sein Leben lang gewesen war.
Das Problem waren seine Qualitäten als Werkzeugmacher. Dafür würde man ihm immer Wertschätzung entgegenbringen. Aber es weckte den Argwohn der anderen, was dieses Geschick im Kern ausmachte: Die Fähigkeit, das Werkzeug im Stein zu erkennen.
Es erinnerte sie unangenehm an das, was die Eiferer und die Englischen taten. Skinny -Leute sprachen zum Himmel und dem Boden, als ob es Leute wären. Ihre Werkzeuge waren auf eine Art und Weise geschnitzt und bemalt, dass manchmal sogar Joshua Leute oder Tiere sah, wo überhaupt keine waren.
Genauso wenig wie die Messer, Gravierstichel und Schaber, die er in den Steinen sah, da waren – jedenfalls nicht ehe er sie formte. Die anderen spürten, dass sein Kopf voller Fremdartigkeit war, und deshalb stand eine Barriere zwischen ihnen, eine Barriere, die nie eingerissen wurde.
Nun hatten die Jäger das Schlachtfest beendet, und das Fleisch war in ordentlichen blutroten Haufen um sie herum verstreut. Joshua ließ die Steinsplitter fallen und hatte sie bald vergessen. Die Jäger zertrümmerten die Knochen mit Steinen. Sie würden das Fleisch zur Hütte am Fuß der Klippe bringen. Vorher wollten sie sich aber am warmen, fettigen Mark laben, das Vorrecht erfolgreicher Jäger. Es herrschte eine zufriedene Stimmung. Sie wussten, dass sie für die nächsten Tage nicht auf die Jagd gehen müssten, dass die Frauen und Kinder ihre Rückkehr mit Freude erwarteten und dass der Abend mit gutem Essen, Gesellschaft und Sex ausgefüllt wäre.
Und während die Männer sich gemütlich auf dem Boden fläzten, erzählte Abel von der Grauen Erde.
Die Graue Erde war die Heimat der Leute.
Die Hams waren zu ihrem Erstaunen auf diesen fremdartigen Ort aus rotem Staub und Gras gefallen. Sie lebten zwar hier, aber 237
es war hier nicht wie auf der Grauen Erde. Auf der Grauen Erde rannten die Tiere wie große Flüsse aus Fleisch an den Höhlen der Leute vorbei. Auf der Grauen Erde gab es keine dürren Eiferer und Englische oder lästige Elfen-Leute; auf der Grauen Erde gab es nur Hams, die Leute der Grauen Erde.
Die Männer lauschten. Die Graue Erde lag zweitausend Generationen in der Vergangenheit und war nun die einzige Legende der Leute, die unverändert und ohne Ausschmückungen von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde; selbst beim Geschich-tenerzählen waren sie ein konservatives Volk.
Doch Joshua schaute in den Himmel. Die Sonne ging schon unter, und die Erde schien hell. Diese Erde war nicht die Graue Erde, denn sie war nicht grau, sondern leuchtete in einem hellen, wässrigen Blau.
Die Hams lebten in einer unveränderlichen Gegenwart. Joshua nahm sein Leben als eine Abfolge von Tagen wahr, die mehr oder weniger wie heute waren und sich vor und hinter ihm wie Bilder in einem Spiegelkabinett erstreckten – sie reichten von den vage erinnerten Tagen als Kleinkind, das seine Mutter um Leckereien an-gebettelt hatte, bis zu den nicht mehr allzu fernen Zeiten, wo er zahnlos und hinfällig wie der alte Jacob wäre, hilflos an die Hütte gefesselt und wieder von der Güte anderer abhängig. Die Hams wussten über Leben und Tod Bescheid und kannten den Zyklus ihres Lebens. Die Außenwelt nahmen sie aber als unveränderlich wahr.
Keine Veränderung außer einer, wurde Joshua sich bewusst: In der Vergangenheit hatten sie auf der Grauen Erde gelebt, und nun lebten sie nicht mehr
Weitere Kostenlose Bücher