Das Musical
gesamte Wand einnahm, und zwar mit einer Erwartung, die manch einen besorgten Beobachter mit Bedenken erfüllt hätte.
Ein ganzes Stück weiter oben und auf der anderen Seite der Stadt kniete Päpstin Johanna ganz allein in der kleinen Fernsehkapelle der Vatikanstadt. Genaugenommen war es keine richtige Stadt, sondern lediglich ein weiterer dreckiger großer Betonbunker… doch ›Stadt‹ drückt etwas aus, was ›Betonbunker‹ nicht auszudrücken imstande ist.
Für Joan gab es keine Fleischeslust. So etwas war streng verboten. Sich derartigen Lastern hinzugeben hätte bedeutet, sich vom Wahren Glauben abzuwenden. Wenn man ein Vermächtnis voll päpstlicher Verworfenheit erbt, in dessen heiligen Reihen sich solch illustre Exemplare wie Papst Alexander VI. oder Innozenz VIII. finden, dann muß man schließlich etwas beweisen. Wenigstens boten die wöchentlichen Scheiterhaufen ein wenig Abwechslung. Und obwohl der Dalai Lama wahrscheinlich nicht live aus seinem Bunkergefängnis senden würde, jagte doch der bloße Gedanke an seine bevorstehende Opferung Schauer der Lust durch jene Körperteile, an denen die Rosenkränze baumelten.
Päpstin Johanna kniete nieder, geißelte sich ein paarmal mit einem Flagellum aus Plastik und drehte die Lautstärke auf.
Unten in den Bunkern schlugen sich Herr Otto und Frau Ottilie Normalverbraucher die Bäuche mit den täglichen Lebensmittellieferungen voll, während sie unablässig die Bildschirme beobachteten. Es war noch ein wenig früh am Tag für all die Aufregung, doch sie hatten ein gutes Gefühl wegen der ganzen Geschichte. Im übrigen war die heutige Lebensmittellieferung ganz speziell für diese Gelegenheit mit einem ausreichenden Quantum zusätzlicher Drogen versetzt worden.
Glorias Gesicht füllte den Schirm. Ihre grünen Augen waren rotgerändert und tränenfeucht, das Make-up auf den delikaten Wangen mit Streifen durchsetzt. Und der Lippenstift war verschmiert. (Hä?) Die Maskenbildner hatten sich selbst übertroffen.
»Es ist nun eine Stunde her, daß die telepathische Übertragung unseres geliebten Dalai Lama abgerissen ist. Meine lieben Freunde.
Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.
Meine Trauer ist Ihre Trauer. Als wäre die Meldung über den Verlust einer der größten Gestalten in der Geschichte der Menschheit nicht genug, um unsere Herzen mit Kummer zu füllen, setzt die schreckliche Nachricht, die mich in diesem Augenblick erreicht hat und die ich Ihnen nun verlesen muß, der elenden Geschichte die Krone auf.
Bisher haben wir stets geglaubt, die Devianti wären eine unabhängige Gruppe von Separatisten, die nichts als ihre eigenen wahnwitzigen Pläne verfolgen. Doch das ist nicht der Fall. Diese Terroristen werden von einem der anderen Sender bezahlt. Gerade in diesem Augenblick ist eine weitere, eine zweite Entführung im Gange. Eine Todesschwadron der Devianti ist unterwegs, um den Abwehrkordon von…« Gloria tupfte sich eine Träne aus dem Auge und putzte sich abschließend mit dem spitzenbesetzten Taschentuch die Nase. Gezackte Linien huschten über den Schirm, dann wurde der Bildschirm schwarz, und der Sender war tot.
Hubbard brach in einem Gewirr wogender Hintern zusammen.
Päpstin Johanna zog den Stecker heraus.
»Johanna!« kreischte Hubbard der Dreiundzwanzigste (oder auch XXIII.) »Diese verdammten verräterischen…«
»… Bastarde!« vollendete Päpstin Johanna den Satz. »Das bedeutet…«
»… Krieg, sollte man meinen.« Gloria drückte auf den roten Knopf.
»Du bist wirklich ein richtiges Genie, meine Liebste«, seufzte Mrs. Vrillium schmachtend. »Meinst du nicht auch, wir sollten jetzt besser im Bunker Unterschlupf suchen? Nur, um auf Nummer Sicher zu gehen?«
»Warum um alles auf der Welt sollten wir das tun? Niemand wird seine Bomben auf uns werfen, oder meinst du vielleicht doch?«
Mungo Madoc vergrub das Gesicht in den Händen und murmelte leise: »Was für ein Unglück! Was für Kalamitäten!«
27
… der Untergrund. Es hat immer einen Untergrund gegeben. Dieser hier wurde von Tradition genährt. Und vom Buch. Weil es einen so weiten Weg gegangen war. Es mußte einfach bis zum Ende gelesen werden. Wir alle wollten wissen, was auf dem K 2 Karbon gespeichert war und in welcher Form auch immer es sich jetzt versteckte. Selbstverständlich spalteten sich rivalisierende Fraktionen ab, bildeten sich neue Gruppen, zersplitterten wieder. Doch der Kern von allem war das sichere Wissen, daß irgendwo ein
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