Das muss Liebe sein
zu erklären, was ich getan habe. Lass mich zuerst versichern, dass es mir außerordentlich Leid tut, dir Kummer bereitet zu haben, was wohl unweigerlich der Fall sein wird. Das lag nie in meiner Absicht, und ich habe auch nie damit gerechnet, dass meine anderen Geschäfte negative Auswirkungen für dich haben könnten.
Gabrielle hielt inne. Geschäfte? So nannte er seine Hehlerei mit gestohlenen Gemälden und Antiquitäten? Sie schüttelte den Kopf und las weiter. Er schrieb über ihre Freundschaft, schrieb, wie sehr er sie mochte und über die schöne gemeinsam verbrachte Zeit. Schon fing sie an, Mitleid mit ihm zu haben, doch dann schlug der Brief einen anderen, skrupellosen Ton an.
Ich weiß, dass viele Menschen das, was ich getan habe, als kriminell bezeichnen, und vielleicht haben sie Recht. Gestohlene Dinge anzunehmen und zu verkaufen ist ungesetzlich, aber mein einziges WIRKLICHES Verbrechen besteht darin, dass ich immer mehr haben wollte. Ich wollte die schönen Dinge des Lebens. Und dafür büße ich eine härtere Strafe ab als Leute, die wegen Gewalttätigkeit einsitzen. Männer, die Frau und Kinder misshandeln, werden milder bestraft als ich. Diesen Umstand betone ich so, um zu zeigen, dass mein Verbrechen im Vergleich tatsächlich geringfügig ist. Wer ist zu Schaden gekommen? Reiche Leute mit einer guten Versicherung.
Gabrielle ließ den Brief in den Schoß fallen. Wer ist zu Schaden gekommen? War das sein Ernst? Sie überflog den Rest des Briefs, der noch weitere Überlegungen und Rechfertigungen enthielt. Er bedachte Joe mit einigen saftigen Schimpfwörtern, hoffte, dass Gabrielle klug genug war zu erkennen, dass Joe sie nur benutzt hatte, und er hoffte, dass sie inzwischen mit ihm Schluss gemacht hatte. Gabrielle wunderte sich, dass er nichts von ihrer Mitwirkung wusste, und gegen Ende des Briefs bat er sie doch tatsächlich, ihm zu schreiben, so, als wären sie noch immer Freunde. Die Vorstellung wies sie weit von sich. Mit dem Brief in der Hand ging sie zurück in den Salon.
»Was war in deinem Umschlag?«, fragte Claire vom Arbeitstisch aus, wo sie mithilfe von Mörser und Stößel frischen Lavendel und Rosen mischte.
»Ein Brief von Kevin. Er erklärt, dass es ihm Leid tut und dass er im Grunde gar nicht schuldig ist. Außerdem hätte er ja nur reiche Leuten bestohlen.« Sie unterbrach sich, um den Brief in den Papierkorb zu werfen. »Vermutlich hat der Schmetterling, der dir verraten hat, dass ich heute gute Nachrichten erhalten würde, sich nur einen Scherz erlaubt.«
Ihre Mutter sah sie auf ihre ruhige, gefasste Art an. Ein klares Urteil, und es gab Gabrielle das Gefühl, ein friedfertiges Kind der Liebe getreten zu haben.
So war es wohl auch, aber in letzter Zeit konnte sie einfach nichts ausrichten gegen ihr eigenes Verhalten. Sobald sie den Mund öffnete, quoll der ganze in ihrem Herzen aufgestaute Zorn heraus.
Erst in der vergangenen Woche hatte sich ihre Tante Yolanda über ihr Lieblingsthema, Frank Sinatra, ausgelassen. Gabrielle fuhr sie an: »Sinatra ist das Letzte, und die einzigen Leute, die anderer Meinung sind, sind Frauen, die ihre Augenbrauen nachzeichnen.«
Gabrielle hatte sich unverzüglich bei ihrer Tante entschuldigt, und Yolanda schien die Entschuldigung angenommen und Gabrielles Ausrutscher vergessen zu haben, aber eine Stunde später hatte sie sich im Kaufhaus versehentlich einen Truthahnbräter angeeignet.
Gabrielle war überhaupt nicht mehr sie selbst, und sie war sich ihrer eigenen Identität nicht mehr im Klaren. Das war früher anders, aber nachdem zwei verschiedene Männer an einem einzigen Tag ihr Vertrauen missbraucht und ihr Herz gebrochen hatten, war ihr Glaube an sich selbst und ihre Welt aus dem Lot geraten.
»Der Tag ist noch nicht vorüber«, sagte Claire und wies mit dem Stößel auf den kleinen Umschlag auf dem Tisch. »Die Hillards geben eine Party. Auf der Einladungskarte steht, dass sie alle, die mit der Wiederbeschaffung ihres Gemäldes befasst waren, gern bei sich begrüßen würden.«
»Ich kann die Einladung nicht annehmen.« Der Gedanke daran, dass sie Joe wieder sehen würde, verursachte ein Flattern in ihrem Bauch, als hätte sie diesen mystischen Schmetterling im Garten ihrer Mutter verschluckt.
»Du kannst dich nicht in alle Ewigkeit hier verstecken.«
»Ich verstecke mich nicht.«
»Du gehst deinem Leben aus dem Weg.«
Natürlich ging sie ihrem Leben aus dem Weg. Ihr Leben war ein schwarzes Loch, das sich vor ihr ausdehnte. Sie
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