Das muss Liebe sein
Vielleicht solltest du dich mehr um Gabrielle statt um Nancy kümmern«, sagte Kevin, der ihre Reaktion bemerkt und sie fälschlicher Weise für Eifersucht gehalten hatte. Und Eifersucht war es natürlich nicht.
»Gabrielle weiß, dass sie sich wegen anderer Frauen keine Sorgen zu machen braucht.« Er nahm ihr das Weinglas aus der Hand und stellte es auf den Tisch. »Ich bin ganz vernarrt in dieses Mal an der Innenseite ihres Schenkels.« Er hob ihre Hand an den Mund und hauchte einen Kuss auf ihre Fingerknöchel. »Man könnte sogar sagen, ich bin besessen von diesem Mal.«
Über ihren Handrücken hinweg sah er sie an. Ihre Finger zitterten, und sie versuchte, sich zu erinnern, ob sie ein solches Mal hatte, doch es gelang ihr nicht.
»Hast du genug zu essen bekommen?«, fragte er an ihren Fingerknöcheln.
»Wie bitte?« Fragte er etwa tatsächlich nach Essen? »Ich habe keinen Hunger.«
»Wollen wir heim?«
Sie nickte langsam.
»Ihr zwei wollt wirklich schon gehen?«, erkundigte sich Kevin.
»Wir feiern unser einmonatiges Jubiläum«, erklärte Joe und ließ ihre Hand sinken, ohne sie jedoch loszulassen. »In dieser Hinsicht bin ich sentimental. Komm, wir verabschieden uns und holen rasch noch deine Handtasche.«
»Ich mach das schon«, bot Kevin an.
»Nein danke, wir holen sie selbst«, beharrte Joe.
Die Verabschiedung von Kevins Freunden dauerte etwa drei Minuten, die größtenteils darauf verwendet wurden, Nancy zu überzeugen, dass sie tatsächlich so früh schon gehen mussten. Joe verschränkte seine Finger mit Gabrielles und Hand in Hand verließen sie den Raum. Wären sie ein echtes Pärchen gewesen, hätte sie vielleicht ihren Kopf gegen seinen gelehnt, und er hätte sich vielleicht ihr zugewandt und einen zärtlichen Kuss auf ihre Wange gedrückt oder ihr etwas Liebes ins Ohr geflüstert. Doch Joe hatte keinen Sinn für Zärtlichkeit oder etwas Liebes, und sie waren auch kein echtes Pärchen. Sie lebten eine Lüge, und Gabrielle fragte sich, wieso die Leute, die sie so sahen, nicht hinter die Fassade blicken konnten.
Das warme Gefühl seiner Berührung löste ein noch wärmeres körperliches Verlangen aus, doch dieses Mal hatte sie Geist und Seele unter Kontrolle. Für alle Fälle ließ sie trotzdem seine Hand los und legte ein paar Zentimeter Abstand zwischen sich und ihn. Sie wunderte sich darüber, dass Kevin sich so leicht hinters Licht führen ließ.
Kevin heftete den Blick auf Gabrielles Rücken, als sie und ihr Freund aus dem Zimmer gingen. Er sah, wie sie Joes Hand losließ, und wusste, dass sie aus irgendeinem Grunde sauer war. Aber was immer es auch sein mochte, Kevin war überzeugt, dass ihr Freund sie ihren Ärger vergessen lassen konnte. Typen wie Joe konnten das nun mal. Selbst wenn sie Versager waren, kriegten sie das, was sie wollten, auf dem Silbertablett serviert. Nicht so Kevin. Er musste sich nehmen, was er haben wollte.
Er schaute sich unter seinen jungen, wohlhabenden Gästen um, die seine Gerichte aßen, seine Getränke schlürften, sich in seinem wunderschönen Haus aufhielten. Sein Heim war geschmückt mit herrlichen Gemälden und erlesenen Antiquitäten und Kunstgegenständen. Die Aussicht von seinem Haus aus zählte zu den besten der ganzen Stadt, und das war nicht eben billig gewesen. Er hatte es zum Gipfel des Berges geschafft, doch nur ein einziger Blick auf einen Typen wie Joe genügte, und schon erwachte der alte Hunger nach mehr in seinem Bauch, stellte sich dieses alte Dröhnen in seinem Kopf wieder ein, das ihm sagte, dass es nie ausreichen würde, dass er nie genug haben würde. Nie genug Geld, tolle Kleidung, große Häuser und schnelle Autos. Nie genug schöne Frauen, die ihm das Gefühl gaben, anders zu sein als alle anderen Typen auf der Welt. Nicht unsichtbar zu sein. Der innere Hunger war unersättlich, und manchmal hatte Kevin Angst, dass es nie genug gäbe.
»Bleib da stehen«, befahl Joe, sobald sie außer Sicht von Kevins und seinen Freunden waren. »Falls jemand kommt, rede laut und lass ihn nicht ins Zimmer.«
»Was hast du vor?«, fragte Gabrielle, als sie ihn in das erste Zimmer, dessen Tür sie erreichten, hineinschlüpfen sah. Ohne zu antworten, schloss er leise die Tür und ließ Gabrielle allein im Flur stehen.
Sie verhielt sich vollkommen ruhig, hoffte, er würde sich beeilen, und versuchte, über das laute Pochen ihres Herzens hinweg etwas zu erlauschen. Sie kam sich vor wie eine Spionin, allerdings nicht wie eine gute. Ihre Hände
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