Das muss Liebe sein
lächelten die beiden einander an, und Gabrielle hätte gern gewusst, ob sie sich heimlich für später verabredeten. Sie waren ein schönes Paar. Nancy war nicht nur zierlich, sondern erweckte dank ihrer Blässe und Zerbrechlichkeit auch den Eindruck, als brauchte sie einen Mann, der sie beschützte. Einen großen, starken Mann, der sie über seine Schulter werfen und sie aus brennenden Häusern retten konnte. Einen Mann wie Joe.
»Machst du dir wirklich keine Sorgen wegen Joe und Nancy?«
»Nicht die geringsten.« Wie zum Beweis kehrte sie den beiden den Rücken zu, entschlossen, Detective Shanahan aus ihren Gedanken zu streichen. Es wäre ihr vielleicht auch gelungen, doch sein tiefes, volltönendes Lachen war über den Lärm im Raum hinweg zu hören und rief ihr ins Gedächtnis, wo genau an der Bar er stand – neben einer sehr schönen kleinen Blondine in einem winzigen Kleidchen. »Rate mal, wen ich heute getroffen habe?«, fragte sie, bemüht, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. »Diesen Typen, mit dem ich letztes Jahr befreundet war, Ian Raney. Er bietet immer noch Reiki-Behandlungen im Gesundheitszentrum an. Auf dem Festival hatte er einen eigenen Stand, an dem er Auren heilte.«
»Das war vielleicht ein komischer Vogel.« Kevin lachte leise.
»Jetzt ist er schwul.« Gabrielle runzelte die Stirn. »Vielleicht war er ja auch früher schon schwul, und ich wusste es nur nicht.«
»Tatsächlich? Woher weißt du denn, dass er jetzt schwul ist?«
»Er hat mich seinem ›speziellen Freund‹, Brad, vorgestellt.« Sie schob den Rest des Bries in den Mund und spülte ihn mit einem Schluck Weißwein hinunter. »An Brads sexueller Orientierung konnte nicht der geringste Zweifel bestehen.«
»Eine echte Tunte?«
»Nicht zu übersehen, so Leid es mir tut. Wie konnte ich mich mit einem Typen anfreunden und nichts merken? Gibt es denn keinerlei Anzeichen?«
»Nun, hat er versucht, mit dir ins Bett zu gehen?«
»Nein.«
Kevin legte den Arm um Gabrielles Schulter und drückte sie tröstend. »Siehst du.«
Sie blickte in seine vertrauten blauen Augen und spürte, wie die Spannung allmählich nachließ. Derartige Gespräche hatte sie mit Kevin schon öfter geführt. An Tagen, wenn das Geschäft etwas zäher lief, saßen sie manchmal in seinem Büro, die Füße hochgelegt, vergaßen die vielen Details und Anforderungen, die die Leitung eines Kleinunternehmens fordert, und sprachen über Gott und die Welt. »Nicht alle Männer sind wie du.«
»O doch. Aber die meisten Männer würden dir nicht die Wahrheit sagen, wenn sie glauben, sie könnten zum Zug kommen. Ich weiß, dass es mir nicht vergönnt ist, also hab ich nichts zu verlieren.«
Sie lachte und trank noch einen Schluck Wein. Kevin mochte genauso oberflächlich sein wie seine Freunde, aber ihr gegenüber war er ganz anders. Sie verstand nicht, wie er es schaffte, seine verschiedenen Persönlichkeiten zu vereinen, aber irgendwie schaffte er es eben. Er war offen, ehrlich, überaus unterhaltsam und konnte sie den Mann am anderen Ende des Raums und den Grund ihres Hierseins beinahe vergessen lassen. »Du sagst mir also nur deshalb die Wahrheit, weil wir niemals miteinander schlafen werden?«
»Das trifft es so ungefähr.«
»Und wenn du glauben würdest, dass die Möglichkeit doch immerhin bestünde, dann würdest du lügen?«
»Dass sich die Balken biegen.«
»Und du meinst, alle Männer sind so?«
»Davon bin ich überzeugt. Wenn du mir nicht glaubst, frag doch deinen Freund.« Er nahm die Hand von ihrer Schulter.
»Was soll sie mich fragen?«
Gabrielle fuhr herum und blickte in Joes wachsame Augen. Irgendetwas lag ihr plötzlich schwer im Magen, und sie versuchte, sich einzureden, es wäre der Käse. Sie wollte nicht einmal den Gedanken zulassen, dass es etwas anderes als zu fettes Essen sein könnte. »Nichts.«
»Gabrielle will nicht glauben, dass Männer lügen, um Frauen ins Bett zu kriegen.«
»Ich habe nur angezweifelt, dass alle Männer lügen«, erklärte sie.
Joe warf Kevin einen Blick zu und sah dann Gabrielle an. Er legte die Hand auf ihren Rücken. »Das ist eine dieser Fangfragen, wie? Ich bin geliefert, ganz egal, wie ich antworte.«
Ein warmes Prickeln fuhr ihr Rückgrat hinauf, und sie trat aus seiner Berührung heraus. Sie wollte um nichts in der Welt daran denken, wie leicht dieser Mann sie mit weiter nichts als mit einem Blick oder einer Berührung in seinen Bann zog.
»Sieht so aus, als wärst du ohnehin der Dumme.
Weitere Kostenlose Bücher