Das muss Liebe sein
zitterten, ihre Kopfhaut zog sich zusammen. Sie war nicht dafür geschaffen, ein Bond-Girl zu spielen. Irgendwo im Haus wurde eine Schranktür zugeknallt, und Gabrielle fuhr zusammen, als hätte jemand sie mit dem Betäubungsgewehr getroffen. Sie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und schöpfte tiefe, reinigende Atemzüge. Sie hatte keine Nerven wie Drahtseile. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und verbrachte die längsten fünf Minuten ihres Lebens mit Warten.
Als Joe wieder auftauchte, zeichneten tiefe Furchen seine Stirn und ließen ihn finster aussehen. Da er enttäuscht wirkte und keine Verstärkung herbeirief oder die Handschellen zückte, nahm Gabrielle an, dass er nichts gefunden hatte. Sie entspannte sich ein wenig. Jetzt würden sie endlich gehen.
Joe drückte ihr die Tasche in die Hand, ging dann weiter und schlüpfte lautlos in ein weiteres Zimmer. Die Tür hatte sich kaum hinter ihm geschlossen, als sie seinen bereits vertrauten Spruch hörte.
»Ach, du liebes Jesulein!«
Gabrielle erstarrte innerlich. Er hatte etwas gefunden. Sie schlich sich in das Zimmer und zog die Tür hinter sich zu. Beinahe erwartete sie, Hillards Monet an der Wand hängen zu sehen. Was sie dann allerdings sah, war schockierend. Spiegel. Überall. An den Wänden, den Türen des begehbaren Kleiderschranks und an der Decke. Mitten im Raum stand ein rundes Bett, bedeckt mit einer schwarzweißen Lammfelldecke mit einem großen orientalischen Ornament in der Mitte. Weder Kommoden noch Nachttische behinderten den Blick auf die Spiegel. Neben dem Bogendurchgang zum Bad stand ein kleiner einbeiniger Tisch mit einem Schachspiel aus Elfenbein darauf. Selbst über die Entfernung der halben Zimmergröße hinweg erkannte Gabrielle, dass es eine Antiquität orientalischen Ursprungs war, und die nackten Figuren waren, typisch für die Epoche, in ihrer Anatomie nicht ganz korrekt proportioniert. Gabrielle hatte das Gefühl, in ein Zimmer des Playboy-Hauptquartiers geraten zu sein. Dort, wo Hugh Hefner seine Häschen vernaschte.
»Schau dir das an. Man fragt sich, was er in diesen Spiegeln wohl sieht«, bemerkte Joe im Flüsterton.
Gabrielle legte den Kopf in den Nacken und schaute nach oben. »Und welche Mengen an Glasreiniger er dafür braucht!«
Sein Blick begegnete ihrem in dem Spiegel an der Decke. »Ja, das war auch mein zweiter Gedanke.«
Sie hängte sich den Riemen ihrer Tasche über die Schulter und sah zu, wie er leise durch den Raum schritt. Der dicke weiße Teppich dämpfte die Tritte seiner Lederschuhe. Ganz gleich, wohin sie sich wandte, sie war umgeben von seinem Spiegelbild: im Bann seiner dunklen eindringlichen Augen und der sinnlichen Konturen seines Mundes; seiner geraden Nase und seines eckigen, eigensinnigen Kinns; der Locken in seinem Nacken und der breiten Schultern, die sich wunderbar unter seinem gerippten Polohemd abzeichneten. Ihr Blick wanderte seinen Rücken hinunter bis zum Bund seiner Gabardinehose, dann verschwand er im Schrank, und Gabrielle war allein mit ihrem eigenen Spiegelbild. Sie bedachte es mit einem finsteren Blick und straffte sich ein wenig.
Also ist Kevin pervers, dachte sie und schob sich die Locken hinters Ohr. Das ging sie nichts an. Dadurch, dass er sein Schlafzimmer mit Spiegeln auskleidete, verstieß er gegen kein Gesetz. Sie fuhr mit der Hand am Latz ihres Rocks entlang, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sich mit kritischem Blick. Sie war ganz anders als Nancy. Sie war nicht zierlich und blond und stets zum Flirten aufgelegt, und wieder einmal fragte sie sich, was Joe in ihr sah, wenn er sie anschaute.
Sie sah jeden kleinen Makel im ganzen Raum vervielfacht und konnte sich nicht vorstellen, sich selbst beim Liebesakt zu beobachten. Völlig nackt. Ganz offensichtlich hatte Kevin in diesem Punkt keine Bedenken, und das war nun doch etwas mehr an Information, als sie über ihn hätte haben wollen.
Sie ging an dem Schachbrett mit seinen Reihen großzügig ausgestatteter und extrem erigierter Bauern vorbei zum Bad. Sie blieb nicht stehen, um die anderen Figuren in Augenschein zu nehmen; sie wollte wirklich nichts Näheres wissen.
Im Bad erwarteten sie noch mehr Spiegel, eine Duschkabine, eine große gekachelte Badewanne. Fenstertüren führten hinaus auf eine kleine Terrasse mit einer weiteren Badewanne. Wären die Spiegel nicht gewesen, hätte sie sich ohne weiteres vorstellen können, sich ein schönes heißes Entspannungsbad einzulassen und vielleicht ein bisschen
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