Das Musterbuch (German Edition)
Venedig aufgebrochen mit dem Versprechen, seine Liebste für ihre gemeinsame Zukunft demnächst abzuholen. Noch benötigte er alle Konzentration für sein letztes Fresko in der Eremitani-Kirche.
Bevor er an seinen Arbeitsort zurückkehrte, ging Andrea in die Scrovegni-Kapelle, um sich von den Fresken Giotto di Bondone inspirieren zu lassen. Dieser Bilder, eine Illustration der Legenda aurea , der goldenen Legende des Jacopo da Voragine, hatten ihn bereits in seiner Kindheit stark beschäftigt und er nahm sie zum Anlass, dem grössten aller italienischen Maler nachzueifern!
Vor dem threnos , der Beweinungsszene nach griechischer Manier, blieb er stehen. ' Giotto wandelte die Kunst der Malerei vom Griechischen ins Lateinische und führte sie zur Moderne ', diese Textstelle in Cennino Cenninis berühmtem Werk fiel ihm ein und er begann nun auch, sie zu verstehen. Alles wirkt hier so natürlich! Das Bild stellt einen Kanon unterschiedlichster Leidensäusserungen dar: hier der laut klagende Johannes mit zurückgerissenen Armen vor der kargen Landschaft, die diagonal ansteigt, dort Magdalena in stiller Trauer zu Füssen des Heilands und daneben wiederum Josef von Arimathia und Nikodemus zurückhaltend gefasst! Der Schmerz, den die Mutter empfand wird in verschiedenen Tonarten vorgeführt und gipfelt in unfassbarer Trauer, symbolisiert durch den toten Baum oben rechts. Hier ereignet sich etwas vor den Augen des Betrachters und Andrea fing an, die Tricks der traditionell scheinenden Beweinungsszenen zu begreifen: hier wird inszeniert und bewusst arrangiert. Die uns verborgenen Rückenfiguren ja, - dass sind ja wir selbst!
Und dann in der Höhe: diese wild tummelnden Puttini. Andrea holte sein Skizzenbuch hervor und kopierte in ein paar Linien diese schmerzergreifenden Engel.
Vor allem hier oben wurde das Tagewerk sichtbar. Giotto arbeitete bekanntlich in Abschnitten, im Fresko sichtbar wurden. Doch wie gut Andrea dieses Sichtbarwerden in seiner Architekturkulisse in der Ovetari-Kapelle zu verstecken vermochte!
Die Technik des Freskierens hatte keine Veränderung erfahren: noch immer wurde in Schichten gearbeitet: auf den groben Mörtel aus Sand und Kalk wurde zunächst grober Putz aus drei Teilen Sand und einem Teil Kalk aufgetragen, dann folgte eine feine Schicht arriccio auf dem die Vorzeichnung sinopia , einem Farbstoff aus roter Erde, vorgenommen wurde. Erst die letzte Schicht, das intonaco, dem nun auch Marmorstaub beigefügt wurde, war die feinste Schicht von etwa 3-5 mm, so dass die Vorzeichnung durchscheint. Hierauf erst malte der Freskant sein Gemälde. Die aus Pflanzen gewonnenen Pigmente waren ungeeignet, weshalb man hauptsächlich Erdfarben zu verwendete. Da Bleiweiss im Fresko schwarz wurde, nahm man zum Aufhellen gebrannten Kalk oder bianco di San Giovanni .
Nicht selten schienen gar bei den alten Meistern die Gesichter auf den Tafelbildern grün, und zwar nach Abnutzung der obersten Farbschicht durch das Hervortreten der Untermalung mit terra verde .
Andrea überlegte, wie er dies verhindern konnte, wie sein Inkarnat für die Maria Himmelfahrt wählen sollte. In jedem Fall würden die Engelein im neuen Fresko ihre Verwendung finden.
Schnell ging er noch in seine bottega , um die Gehilfen nach längerer Abwesenheit zu begrüssen und um neue Anweisungen zu geben. Vielleicht würde er gar den Neuen, seinen garzone aus Brescia, mit sich in die Kirche nehmen.
Bereits in der Tür hörte Andrea lustiges Geplapper von einer Stimme, die ihm vertraut war. Es war Carlo Crivelli, der zusammen mit ihm und mit Marco, wegen seines körperlichen Gebrechens scherzhaft auch 'Zoppo' genannt wurde, in der Werkstatt Squarciones gelernt hatte. Carlo war danach in Venedig gewesen und in die Marken gereist. Zuletzt sahen sich die Freunde beim grossen Abschied von Donatello aus Padua im Jahr zuvor.
"Hallo, alter Freund, da bist du ja wieder! Ich dachte schon ich müsste noch Wochen hier in Padua auf dich warten, um mit dir von alten Zeiten zu schwatzen." Carlo kannte nicht den Grund, weshalb Andrea nach Venedig gereist war und Andrea wollte sich von seiner guten Laune anstecken lassen, so dass er ihn deshalb in Unkenntnis seiner persönlichen Trauer liess. Nur den Tod Pizzolos konnte er ihm nicht verheimlichen.
"Dann fehlt dir also ein Aufpasser und genio in Sachen Kompositionsentwürfe?" Carlo sah die deprimierte Mine seines Kollegen und wollte diese wieder in Freude verwandeln. "Soll dies etwa eine Bewerbung bei mir sein?" Andrea
Weitere Kostenlose Bücher