Das Musterbuch (German Edition)
grossartigen Grabmal für den Dogen Niccolò Marcello, entstanden vom maestro Lombardo in Santa Marina, ganz in der Nähe von Giovannis Atelier.
Nach dieser Lektion in Sachen Lichtbehandlung und Architekturgestaltung nahm Vincenzo gern den Vorschlag des Meisters an, ihn nach Murano zu begleiten. Sie durchstreiften die Insel und setzten sich an den Quai, um die Wasserstimmung in sich aufzusaugen.
Eigentlich war Giovanni überaus stolz und glücklich, dass sein Leben in so geordneten Bahnen lief, dass er ein Atelier, ein Heim und eine Familie hatte, die er liebte. Wahre Leidenschaft hatte er gleichwohl seit der Zeit mit Elena zum letzten Mal gespürt.
In diesen Gedanken versunken bemerkte er erst beim leichten Klopfen auf seiner Schulter, dass der junge Vincenzo bei ihm war. " Caro mio , lass uns noch schnell in die Glasbläserei schauen; dort kann ich dir eine Lektion in Sachen Transparenz erteilen."
"Ihr seid heute auf unserer Insel, maestro ? Helft ihr denn gar nicht, den grossen Brand in der scuola zur löschen?" Giuseppe, der alte Glasbläser verehrte den Künstler aus Venedig, dessen Vater er schon gut gekannt hatte. "Soeben ist ein Schiff aus Venedig gekommen und hat von dem schrecklichen Unglück der Scuola grande di San Marco berichtet: alles ist in Flammen!" Noch nie war Giovanni so schnell gerannt, nahm sich, ohne weiteres zu fragen, eine Barke am rio und hatte nur noch ein Ziel: ‚seine‘ Scuola zur retten!
Die Fassade war völlig zerstört, im Innenbereich waren die Malereien gänzlich verkohlt, die Sala dell'Albergo und der Kapitelsaal kaum noch zu erkennen. Und dann die grosse Bibliothek: nur wenige der wertvollen Bücher hatten die Mitglieder der scuola durchs Werfen aus den Fenstern retten können. Personen waren zum Glück nicht umgekommen. Zwei verletzte Laienbrüder mussten ins Spital gebracht werden.
Viele Bürger der Serenissima waren auf dem Campo di San Zanipòlo zusammengetroffen, um dem Feuer Herr zu werden. Einzelne weinten, einer von ihnen war Giovanni!
"Weine nicht, mein Freund, deine Werke werden neu entstehen und ich werde euch helfen, eine noch grössere und schönere Fassade zu errichten!" Hinter Giovanni stand Pietro Lombardo, der seinem Freund tröstend den Arm umlegte. Wenigstens schlugen die Flammen nicht über zur grossen Basilika Santi Giovanni e Paolo. Nicht auszudenken, wenn die grossen Altäre dem Brand zum Opfer gefallen wären!
' Padre nostro in cielo ...' - Giovanni konnte nichts anderes tun, als zu beten. Er betrat die Frari-Kirche am selben Abend noch und wollte hierin eine Andachtsstunde verbringen, weil dies der Ort seines nächsten Auftrags werden sollte. Im Kopfe sah er noch die Flammen, wie sich in den Bibliotheksräumen durch die Fensteröffnungen hindurchfrassen. Rot war der Abendhimmel, goldschwarz die Lichtflut des Feuers. Giovanni dachte an das Gold der Serenissima, ein Symbol für Wohlstand - und nun für Untergang!
Er musste unwillkürlich an seinen Vater denken. Welch ein Glück, dass der alte Jacopo das nicht erleben musste! Er selbst hatte doch seine Söhne zur scuola geschickt. Giovanni sollte noch in seinem Leben lernen, dass die goldenen Flammen eine grosse Gefahr für das wasserreiche Venedig bedeuteten! Welch Ironie des Schicksals!
Golden sollte der Rahmen für sein Frari-Triptychon werden. Vielleicht würde er den Rahmen Schnitzer Vittore da Feltre aus seinem sestiere fragen, ob er ihm eine traditionelle Ummantelung schaffen würde, vielleicht in der Art des Anbetungsbildes von Gentile da Fabriano in Florenz, von dem sein Vater immer so geschwärmt hatte...
Im Atelier zeichnete Giovanni nach den Skizzen seines Vaters: Heiligenköpfe, Architekturrahmen, Kandelaber, Meereswesen, die Feuerflammen verschlungen. Alle Ereignisse vom Tag wurden irgendwie verarbeitet; sortieren würde er seine Gedanken ein anderes Mal.
Teil 3: Das Leben, ein Götterfest!
Kapitel XXVII
anno 1464 bis anno 1474
In grossem Festumzug wurde am 15. Februar, vier Tage nach der Hochzeit in Ferrara, die neue Herzogin von Mantua gefeiert. Sie war erst 16 Jahre alt und hatte in kurzer Zeit die Herzen der Stadtbewohner erobert, so wie sie auch das Herz Francesco Gonzagas im Sturme für sich eingenommen hatte. Dabei war sie, eine Tochter von Ercole d'Este, dem Herzog von Ferrara, und von Eleonora d'Aragona bereits vor zehn Jahren dem jungen Herzog von Mantua versprochen worden. Cosmè Tura, der beste Hofmaler der Este, malte ein Bild von der jungen Schönheit für den
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