Das Musterbuch (German Edition)
feinen Stoffen; sogar sein Porträt von Mohamed II. hatte er gefertigt, ein geradezu revolutionäres Bildnis in seiner Realitätsauffassung.
Giovanni zeigte dem Freund wiederum in seinem Atelier eine neue Variante zur 'Verklärung Christi', geradezu weltlich, die Jünger dem Erlöser nah und in eine seichte Hügellandschaft eingebettet.
"Aber auch mir stehen grössere Aufgaben bevor. Stell' dir vor Alvise, ich soll für die Frari-Kirche ein Triptychon schaffen und zugleich noch habe ich einen Auftrag für den Dogen Barbarigo! Wie gut, dass ich meine Gehilfen habe...". Giovanni diskutierte mit Alvise sein Konzept für das Bild des Dogen Agostino Barbarigo, der anstelle seines Bruders Marco das Dogenamt seit 1486 übernommen hatte. Für so einen bedeutenden Auftraggeber - und die Familie Barbarigo war eine der ersten des venezianischen Adels - wollte Giovanni sich selbst übertreffen! Die Breite des Werkes würde alle bisherigen sprengen: der Doge sollte hierin gebührend seinen Platz nahe der Mutter Gottes finden.
Markus, Augustinus und die Mutter Gottes waren ihm als Personen im Bild aufgetragen worden, in allem weiteren war er frei. Er sah vor sich eine grosse Theaterbühne, einen roten Vorhang, der zur Seite gezogen war und den Blick frei liess auf eine idyllische Landschaft. Reichtum sollte durch Marmorstufen und kleine tragende Pilaster zum Ausdruck gebracht werden, Markus sollte farblich ein Pendant zur Madonna bilden, der Doge dem Heiligen Augustinus in nichts nachstehen. Und dann - war es nicht der Heilige, der in seinen confessiones sagte: 'Ich fühle wohl, dass jede Regung unserer Seele nach ihrer Art auch in Gesang und Stimme ihre Weise hat, etwas wie tief verborgene Verwandtschaft, die sie reizt und anregt'. Giovanni wollte zwei Musiker hinzugesellen, vielleicht nach realen Vorbildern aus dem Collegio.
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Vincenzo schaute ihm über die Schulter, als er seines Namenszug unter die Madonna mit den Bäumchen alberetti sowie die Jahreszahl 1487 setzte. "Wie macht ihr es, maestro ", fragte der junge Schüler" dass ihr zwei verschiedene Lichtquellen einsetzt, einmal von vorn, denn man sieht ja den Schatten Marias vor dem Behang, und dann das göttliche Licht in der Landschaft hinten rechts." "Du sagst es! Es ist einmal das irdische von uns wahrnehmbare Licht, hinten jedoch hat das Licht eine spirituelle Dimension, für den Menschen nahezu unfassbar! Hier habe ich viel von maestro Antonello gelernt. Komm mit mir, ich will dir mein Werk in der Kirche San Giobbe zeigen, eine sacra conversazione in göttlichem Licht." Giovanni dozierte gern vor seinen Werken. So konnte er den Schülern am deutlichsten sein Anliegen vermitteln. Und der junge Vincenzo Catena war sehr wissbegierig!
In San Giobbe angekommen betraten Lehrer und Schüler die zweite Kapelle von rechts in der neuen Kirche. "Ist dies nicht die Kirche des Dogen Cristoforo Moro?" Vincenzo kannte die Stadtgeschichte Venedigs sehr gut. In der Tat wurde hier der Doge im Jahre 1471 begraben.
Die Wirkung des grossen Altarretabels war überwältigend: man hatte den Eindruck, als würde der Kirchenraum hierin seine Weiterführung finden. Die Wandpfeiler, die Pilaster, das Kassettengewölbe: all diese Elemente fanden sich im wirklichen Raum wieder. "Das nenne ich Raumerweiterung", wobei er den nach einer Zeichnung von Pietro Lombardo entstandenen Marmorrahmen betrachtete. "Und das Licht des Bildes ist himmlisch!" Vincenzo war fasziniert! "Ja, diese Wirkung habe ich der Öltechnik zu verdanken, die ich hierin zum ersten Mal anwendet habe. Aber auch Vorbilder wie Piero della Francescas Altarbild von Santa Maria della Bella, das mit dem Herzog da Montefeltro,“ - Giovanni wusste nicht, wieviel der junge Mann gereist war - "aber die Figuren Francescos wollte ich beleben; siehst du wie das Licht sie durchdringt? Jede einzelne Figur" - dabei wies er auf den von zwei Pfeilen durchbohrten Sebastian - "jede Figur ist vom göttlichen Licht erfasst." Den Auftrag erhielt Giovanni durch die Franziskaner, denen dieser Ort wegen eines Besuchs des Heiligen Bernardino im Jahre 1443 heilig war.
Danach erzählte Giovanni dem jungen Lehrling von seinem Freund Pietro, dem berühmtesten Steinmetz der Stadt Venedig, dem er schon manches Male bei Entwürfen ausgeholfen hatte, so für die Ausstattung der gerade fertig gewordenen Kirche Santa Maria dei Miracoli, die jener zusammen mit seinem talentierten Sohn Tullio schuf. So half einer dem anderen! Ausserdem erzählte er vom
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