Das Musterbuch (German Edition)
nach in eine eheliche Verbindung übergehen sollte. Doch Giovanni Battista zögerte, ja er neigte seit dem Besuch aus Mantua geradezu zur Verunsicherung. War Lucrezia wirklich die Frau seines Lebens? Sie waren doch noch so jung... .
Als er von der Nachricht hörte, dass Niccolò tatsächlich an den Hof der Gonzaga gerufen wurde, kam ihm eine Idee. Sollte er nicht seinen Oheim für eine Zeit nach Mantua begleiten? Würde die Alberti-Stadt ihm nicht vielleicht ganz ungeahnte Eingebungen geben? Er wollte hierüber mit seinem Vater sprechen.
***
Giovanni sass neben einem Schüler namens Palma und betrachtete den 'lesenden Hieronymus'. Es gab drei ikonographisch divergierende Bildversionen der Hieronymus-Legende: der meditative Typus eines humanistisch gebildeten, lesenden Hieronymus, der büssende Heilige in der Wüste, der sich mit dem Stein gegen die Brust schlägt und der Heilige in Kardinalstracht mit einem Kirchenmodell in der Hand, zurückgehend auf den Hieronymianus von Giovanni da Bologna - und in allen Versionen gehörte der Löwe ins Bild.
Giovanni waren verschiedene literarische Vorlagen zur Hieronymus-Legende bekannt: neben dem Speculum historiale von Vincent von Beauvais besass er eine Ausgabe der Legenda aurea des Jacopo da Voragine. Ihm gehörte ausserdem eine im Jahre 1473 erschienene erste vulgärsprachige Ausgabe der 'Vita, transito et miracoli de beatissimo Hieronimo ' von Bartolommeo da Cremona.
Insbesondere im venezianisch-paduanischen Territorium war die Hieronymianus von Giovanni Andrea da Bologna verbreitet, wonach der Heilige mit Kardinalshut von einem Löwen begleitet wird.
Dieser Hieronymus stellte eher den humanistisch-geprägten, lesenden Heiligen dar, so hatte Giovanni ihn in seiner Einsiedelei gemalt. Die Symbolsprache in der Vegetation mit Efeu, Feigenbaum, und verdorrtem Baum wurde bis in die Landschaft mit kargen, zerbröckelten Felsen weitergetragen. "Aber schau hierher: du hast mir im Hintergrund eine Gegenwelt geschaffen, die ich so hier vorn nicht gemeint habe. Es besteht kein Zusammenhang innerhalb unseres Landschaftsbildes. Hieran musst du noch arbeiten." Damit wendete sich der Meister ab und freute sich, seinen Ältesten unverhofft zu erblicken.
"Hei, Giovannino, was treibt dich zu mir? Liebesprobleme?" Es hatte sich zwischen Vater und Sohn ein offenes Verhältnis entwickelt und so kam es nicht selten vor, dass der Unerfahrenere den Älteren um Rat fragte - in allen Lebens-und Liebesfragen. Diesen Bezug hatte der junge Architekt zum Gatten seiner Mutter nie gehabt und Elena hatte gut gemacht, nach dessen Tode ihm seinen wahren Vater vorzustellen.
"Vater, ich will mit Niccolò nach Mantua gehen! Was hältst du davon?" Der Vater betrachtete den Sohn lange Zeit. Dann setzte er zum Sprechen an: "Wenn es wegen der Kunst ist, habe ich grosses Verständnis; wenn es aber eine Flucht ist, um einer Entscheidung auszuweichen, so sollst du wissen, dass dies nur Zeitverschwendung bedeutet. Denn letztlich läufst du vor dir selber weg und musst dich doch bei deiner Rückkehr den alten Problemen stellen. Entscheide also du, ob es deinem Werdegang als Architekt dienen kann."
Giovanni hatte schnell begriffen, dass der junge Mann nicht die Courage besass, seine Liebe zu legitimieren. Er hoffte nur, dass noch kein Unglück passiert war. Oder sollte es dem Sohn gehen, wie einst seinem Grossvater und Vater, sollte er ebenfalls stets der grossen Liebe nachhängen?
Niccolò freute sich zu hören, dass er nicht allein aufbrechen musste. Und so begaben sich die zwei Venezianer gemeinsam auf die Reise nach Mantua.
Kapitel XXX
Nach der Papstwahl des Spaniers Rodrigo Borgia hatte sich in Rom manches verändert. Der neue Papst liess auch unverzüglich die Gestaltung seiner Privatgemächer in Angriff nehmen, und zwar von Maler Pinturicchio aus Perugia.
Seine Tochter Lucrezia, zu der er ein inzestuöses Verhältnis gehabt haben sollte, war inzwischen mit Giovanni Sforza verheiratet, dem Witwer nach dem Tod der Schwester Francesco Gonzagas, Maddalena. Insofern schielte man am Hof von Mantua immer auf die Geschehnisse in Rom; vor allem interessierte sich die Marchesa für die neuen künstlerischen Errungenschaften der Stadt, über welche der Hofmaler Mantegna sie unverzüglich zu informieren hatte.
Oftmals sassen sie im Salone vor dem Kamin am Abend, und Isabella liess sich von Andrea die ägyptische Isis und Osiris-Legende erzählen, so, wie der Maler Pinturicchio sie im Appartamento
Weitere Kostenlose Bücher